Gespräch noch im Rettungsboot

Bazut und Zoe kauern wie die anderen auf der Rettungsinsel, mit Blick auf der Stelle, an der vorher noch ein Stahlkoloss das Meer beherrschte. Sie sind alleine und ungestört. Er spricht sie an:

„Ich würde gerne versuchen, dir meine Problem zu erklären, vielleicht kannst du mir dabei helfen, meine Entscheidung abzuwägen.

Ich haben das Gefühl, in einen Zustand zurück zu rutschen, aus dem ich mich herausgehoben hatte. Ich habe dir mal erklärt, dass ich vor nichts Angst habe. Ich war mir sicher, dass ich auf eine Konfrontation mit einer Wesenheit zusteure, die ein Teil der 4. Welt war und sich nun gewaltsam in die 6. Welt geschoben hat, zumindest so lange, bis ich ihm ein Auge ausgeschossen habe. Ich wollte nur dafür sorgen, dass meiner Tochter nichts geschieht, wenn ich diese Konfrontation eingehe. Deshalb habe ich es vermieden, dass sie dort ist oder lebt, wo ich bin. Ich war ein Soldat auf einer Mission und nichts würde mich aufhalten.

Adra war andere Meinung. Durch sie habe ich verstanden, dass es zwar keine Zufälle gibt und auch kein Schicksal, dem man sich fügen muss. Es sind Entscheidungen, die man trifft und deren Konsequenzen, die man trägt; Pakte, Schwüre und Verpflichtungen, die man eingeht und die bestimmen, wer man ist.

Ich sehe mich nicht länger als Soldat, aber zweifelsohne bin ich ein Kämpfer, ein Krieger – und wenn man die Konflikte ansieht, zu denen ich mich verpflichtet habe, kann man zu dem Schluss kommen ,dass ich mich als ein Helfershelfer solcher Kräfte verstehe, die mehr nach Einklang und Harmonie streben. Und immer wieder hat Adra angedeutet, dass es etwas gibt, was ich tun, oder besser, was ich werden soll.

Aber in ihren Erklärungen hat sie es immer vermieden, mit mir echtes Wissen oder Verständnis zu teilen und das bringt mich nun wieder an einen Entscheidungspunkt. Wenn ich akzeptiere, dass ihre Vernichtung bereits unabwendbar oder vollzogen ist, dann sehe ich mich zurückkehren zu alten Mustern. Komme was wolle, ich muss mich nach Bejing schleichen und Henora holen. Ich muss eine Platz finden, an dem sie sicher und gut behütet ist und dann muss ich die Dinge zu Ende bringen, die noch offen sind. Lena befreien ist der erste Schritt, doch dann folgt Lung aufhalten und Miru vernichten. Diese beiden stehen im direkten Gegensatz zu den Dingen, die wir versucht haben in Dahome in Ordnung zu bringen. Beiden geht es um Kontrolle und eine Welt, die so ist, wie sie sie sich vorstellen.

Oder ich versuche Adra zu befreien und zur gleichen Zeit Brick zu finden, ich denke nämlich, dass die beiden am gleichen Platz gefangen gehalten werden. Möglich, dass ihnen das gleiche Schicksal bevorsteht. Keine dieser Optionen scheint auch nur annähernd durchführbar, schon gar nicht für mich alleine, andererseits habe ich Skrupel, mehr Leute damit hinein zu ziehen. Und damit komme ich jetzt zu dir, wie denkst du über die ganze Sache….was wirst du tun?“

Zoe nickt und denkt einen Moment nach. 

„Ich bin froh, dass du das Gespräch suchst, Regicite. Du musst nichts mehr alleine durchziehen, die Gruppe ist so zusammengewachsen, dass es nicht mehr die Probleme eines Einzelnen gibt.“ 

Sie macht einen Pause und zündet sich eine Zigarette an. Komisch, seit wann raucht Zoe eigentlich, denkt sich Regicite. Zoes Handbewegung kommt ihm bekannt vor und das Feuerzeug muss sie sehr unauffällig wieder verschwinden lassen haben. Es beruhigt ihn, dass das Ding ganz normal vor sich hin qualmt, er ist sicher nur zu sehr in Gedanken…

„Atra ist noch nicht verloren. Ich kann sie spüren.“ 

Sie blickt Regicite direkt an. „Ich spüre mehr als sie. Das rauchlose Feuer ist noch nicht erloschen und ich weiß, dass wir noch hoffen können. Ob es etwas wie Schicksal gibt? Es fühlt sich zumindest gerade so an. Ob uns jemals jemand unsere Fragen beantworten wird? Ich weiß es nicht. Vielleicht sieht Atra echtes Wissen nur als solches an, das du selbst erlangt hast.

Aber alles ist irgendwie verbunden. Atra, Brick, wir, das ganze Team… Ich glaube, wir müssen sie und ihn finden, Regicite! Es ist unser beider Weg und auch der Weg der Gruppe. Wir haben das gemeinsam begonnen, wir können es nur gemeinsam beenden, die Entscheidung ist schon vor langer Zeit gefallen. 

Es liegen viele Wege vor uns und wir müssen uns für einen entscheiden. Aber jeder davon führt uns nach Yakut. Ich kann dir nicht sagen, ob deine Tochter sicher ist und ich kann mir vorstellen, wie sehr dich das belastet. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. 

Was deine Gedanken zu Miru und Lung angeht, ich weiß nicht, was ich dazu denken soll. Lung gehört nicht mehr in diese Welt. Miru ist die Zukunft. Können wir es uns anmaßen, ihre Ordnung zu zerstören. Was folgt dann? Oder wer folgt? Welche Verantwortung übernehmen wir dabei? Das ist etwas, das ich gar nicht entscheiden möchte.“

Zoe wendet ihren Blick ab und starrt in die Ferne.

Bazut folgt ihrem Blick….und nickt:

„Du hast recht, dass das keine Entscheidung ist, die man treffen sollte…ich denke nicht mal, dass es jemandem zusteht zu entscheiden, wer wo hingehört!
Aber es sollte auch niemanden geben, der für alle Anderen entscheidet!“

Er sieht wieder zu Zoe herüber und wartet, bis sie mit ihren Gedanken wieder im Hier und Jetzt ist:
„Ich fliege nach Bejing und zwar gleich! Das heißt, sobald wir irgendwo angekommen sind, mache ich mich auf den Weg, egal was die AIM oder wer auch immer will. Im besten Fall bin ich in zwei Tagen zurück. Ich habe in den letzten 18 Monaten mehr Zeit mit meiner Tochter verbracht als die Jahre zuvor und auch wenn sie noch sehr jung ist, ist ein ziemlich kluges Kind, kommt wohl nach ihrer Mutter, gleichzeitig ist sie vorsichtig und misstrauisch gegenüber unerwarteten Situationen, kommt halt auch nach ihrem Vater. Ich habe mit ihr viel von Bejing erkundet und oft darüber gesprochen, was sie tun kann oder soll, wenn Dinge passieren, die ihr nicht gefallen. Wie gesagt, wenn alles gut läuft, finden ich sie an einem der ausgemachten Plätze oder Personen und komme mit ihr zurück.
Da ich denke, dass der Angriff nicht mir oder ihr gegolten hat, hoffe ich dass das der Fall ist. Ich weiß immer noch nicht genau, wie Atras Schöpfer und mein, ja was ist der – einäugige Drache – eigentlich für mich… Gegenspieler, Nemesis, unfreiwilliger Schöpfer? Wie auch immer, ich glaube nicht, dass er mit dieser Sache etwas zu tun hat. Für mich ist es unmöglich, nicht zu gehen…

Er hält einen Augenblick inne…:

„Wenn ich sie finde, brauche ich aber eine Platz, an dem sie für einen Moment sicher ist… könnte ich sie vielleicht bei deinen Leuten unterbringen. Als wir euch im letzten Jahr besucht haben, hat sie sich sehr wohl gefüllt, sie ist sowieso dein größter Fan!“

Dann fällt sein Blick auf Norge und dann auch die anderen:
„Ich möchte keinen im Unklaren darüber lassen, was passiert ist, auch Norge nicht. Alle sollen alles erfahren und dann die Chance haben, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Ich werde auch nicht für andere entscheiden, was sie zu denken haben. Entweder du macht das, während ich weg bin, oder wir machen es alle zusammen, sobald ich wieder zurück bin… Ich denke, dass wir mit Positive und Copper gleich jetzt anfangen sollten!

„Ich wollte meine Familie immer raushalten und nicht in Gefahr bringen. Aber du bist inzwischen eben auch Familie. Wie kann ich da nein sagen? Ich spreche mit meinen Leuten, die beschweren sich ohnehin dauernd, dass mein altes Zimmer leer ist. Was das Gespräch mit den anderen angeht …“ Zoe unterbricht sich und sieht in den Himmel. Eine Minute später hört auch Regicite den nahenden Helikopter.