Noch während im Krankenquartier der Siedlung Nakatombe Norge um das Leben der misshandelten Kate kämpfte, verschaffte sich der Rest des Teams Zugang zur Satelittenanlage des Verwaltungsgebäudes. Die mächtige Parabolantenne blinkte stumm dem bedeckten Nachthimmel entgegen und schürte die Hoffnung, dass nicht alle Kanäle nach außen gekappt wurden.
Der ehemalige Siedlungsvorstand Moko Matobou unterstützte Negative dabei, Zugang zum Dach des Verwaltungsgebäudes zu bekommen. Schnell wurde klar, dass die offiziellen Empfangs- und Sendeanlagen im Keller des Gebäudes nicht ohne massive Gewalt zugänglich waren. Daher besorgte sich das Team Lichtleiterkabel und legte vom Dach aus eine direkte Verbindung von der Satellitenantenne zu einer mobilen Transpondereinheit im Keller des Bürogebäudes von DeBeers Omnitech. Die Agrartechnikerin Abita Tómerres hatte ja darauf hingewiesen, dass dieses Equipment vorhanden wäre. Es dauerte gut eine Stunde und brauchte intensive Teamarbeit von Negative und Zoé, bis auf einem flackernden Holo-Bildschirm im düsteren Lagerraum von DeBeers Omnitech eine Liste mit Uplinks und Transponderzustandsmeldungen erschien.
Die Satelittenantenne begann zu surren, als sie den Nachthimmel nach Lebenszeichen absuchte. Die automatischen Suchroutinen erfassten geostationäre Satelliten, deren Transponder entweder mit BLOCKED, OFFLINE oder INSUFFICIENT BANDWITH markiert waren. Private und öffentliche Matrix-Provider waren unerreichbar. Auch reine Simsense- und Trideo-Kanäle schienen nur mit stark reduzierter Bandbreite verfügbar. Doch die SFG 77 suchte ja nach Kommunikationswegen, nicht nach Unterhaltungskanälen.
Negative war sich bewusst, dass AIM im Großraum Westafrika keine dezidierten, eigenen Satellitentransponder unterhielt, weshalb das HQ ja nur über einen stark gesicherten Tunnel durch die Matrix an den Operations Host angebunden war. Ein Tunnel, den man direkt durch das heftig zensierte LTG von Dahomey gegraben hatte. Der SFG 77 lagen keinerlei Informationen vor, ob AIM mittlerweile einen neuen Transponder gemietet hatte oder ob es andere, operative Kommunikationsinstanzen gab. Das mobile Terminal zeigte jedenfalls auch nach ausführlicher Suche keine auf AIM gemeldeten Transponder an. Als jemand den platten Witz machte, dass man ja beim Yutani Customer Support anrufen könnte, fiehl Negative ein, dass es eine öffentliche Trixadresse von AIM für Notfallmeldungen gab. Ein Service, der allen Mitarbeitern in AIM zur Verfügung stand, falls es in Ausübung der Arbeitstätigkeit zu Krisen, gewandelten Sicherheitslagen, Angriffen oder ähnlichem kommen sollte. Jeder Mitarbeiter bekam ja mit dem Arbeitsvertrag so eine Visitenkarte mit der Notfallnummer! Alles was es dafür brauchte, war eine Trideo- oder Audioverbindung in irgendeines der Regional Telecommunication Grids der Welt. Das konnte Negative mit einigen Handgriffen einrichten. Allerdings würde es eine ungesicherte und registrierte Verbindung sein. Eben ein Telefonat wie jedes andere auch. Aber besser als nichts. Die Parabolantenne zeigte knapp über den Horizont, weit nach Osten, wo irgendwo ein Satellit über Zentralafrika das geschwächte Signal gnädig empfing.
Dem Lieutenant kam die Ehre zu, das Gespräch zu führen. Auf dem Trideoschirm erschien das Gesicht eines europäischen AIM-Mitarbeiters:
„AIM Services Employee Support. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Einsatzleiter identifiziert Einheit: 683X8, 907X2, 013Z5, 604X7, 646W4, 546V3, 764Y3, 554Y9, 756V9. Sicherheitslage kritisch. Kontakt zu CCOM verloren. Eine Person KIA. Einheit einsatzbereit. Erbitte weitere Anweisungen.“
Régicide sah in die erwartungsvollen Gesichter der Kameraden während der Mitarbeiter auf dem Trideoschirm mit ernster Miene nickte:
„Bleiben Sie bitte in der Leitung.“
Einige lange Augenblicke vergingen, in denen der AIM-Schmetterling sich unermüdlich im Standby-Kreis drehte und der Mitarbeiter verschwunden war. Dann tauchte das gleiche Gesicht wieder auf.
„Sir, dies ist eine ungesicherte Verbindung aus einer Region, in der AIM Services derzeit keine Notstandsleistungen garantieren kann. Ich habe Ihre Meldung mit Vorrang an CCOM weitergeleitet und bereits Antwort erhalten. Ihre Einsatzleitung ist informiert. Bitte nennen Sie keine weiteren Einzelheiten, die ihr Team, ihre Position oder Zuordnung kompromittieren könnte. Um in Kontakt mit der Einsatzleitung zu treten benötigen sie ein gültiges OHCM, ein Operative Host Cryptographic Module. Für ihr Team ist eines für den Feldeinsatz authorisiert und nach wie vor in Betrieb. Verbinden Sie diese Hardware mit ihrer Fernverbindung und nehmen Sie erneut Kontakt mit einem AIM Host auf. Wenn es ihnen nicht möglich ist, eine gesicherte Verbindung aufzubauen, dann müssen sie sich in ein Gebiet begeben, in dem die Dienstleistungen von AIM Services zur Verfügung stehen. Ich empfehle ihnen Nordafrika oder internationale Gewässer. Kontaktieren sie dann diese Notfalladresse erneut. – Es tut mir Leid, dass ich ihnen unmittelbar nicht weiter helfen kann. Man hat sie auf jeden Fall nicht vergessen und wird auch nicht aufhören auf ihre Rückmeldung zu warten. Ich freue mich, ihre Stimme zu hören und bin mir sicher, dass es ihnen gelingen wird, die missliche Situation zu überwinden. Sie sind also nicht allein. Viel Erfolg, Sir.“
Mehr Informationen waren nicht zu bekommen. Dem Team war klar, wo sich das nächste OHCM befand: im HQ in Moskuwa. Das Stück Hardware dient der Verschlüsselung von Kommunikationswegen nach AIM-Standard. Lena hatte das Gerät in der Nähe der Küche am Matrixterminal angeschraubt, unter einem kleinen Beistelltisch. Immerhin war bestätigt worden, dass die Verschlüsselungseinheit der SFG 77 noch aktiv und authorisiert war. Das machte Hoffnung, dass Lena und Fink im HQ irgendwie die Stellung gehalten hatten.
Später nahm der Lieutenant erneut Kontakt auf und ließ der AIM Services Hotline noch folgende, kryptische Botschaft zukommen:
„Einsatzleiter identifiziert Einheit: 683X8, 907X2, 013Z5, 604X7, 646W4, 546V3, 764Y3, 554Y9, 756V9. Nachricht verbatim für CO. Nachricht beginnt: ‚Sagt dem Chief, von dem Zeug was er und seine Kollegin wollte haben wir das meiste zusammen! Und sagt ihm, die Lady mit der Sonnenbrille hat ihre letzte Lieferung gemacht. Wir machen noch einen Abstecher in Richtung „Heck des Flugdecks“ oder schauen vielleicht beim Anwesen unseres Freundes vorbei. Dass wäre eine gute Gelegenheit, um ein wenig Tee und Gebäck vom Schiff einzufliegen. Wenn das nichts wird, hört ihr von uns wenn wir wieder in der Wohnung sind. Sagt also dort bescheid, dass sie das Licht anlassen sollen. Buffalo forward!‘ Nachricht endet.“