Archiv der Kategorie: Interna

Dankschreiben

An:
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0.9.064907X2
0.9.006604X7
0.9.057646W4
0.9.044013Z5

Sehr geehrte Damen und Herren,

für Ihren anhaltenden treuen und engagierten Dienst für die Association Internationale des Mercenaires möchten wir Ihnen sehr herzlich danken.

Sie haben zudem einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung und Strafverfolgung der immer noch nachwirkenden Rechtsverletzungen und kriminellen Handlungen der Rechsvorläuferin von AIM beigetragen. Die IMA Transition Task Force hat nach Vorschlag des Board of Directors und Zustimmung des Policy Board eine Sonderzahlung von 260.000 =Y= freigegeben, die von Ihnen gemeinsam abgerufen werden kann.

Mit der Abrufung der Sonderzahlung geht die Verpflichtung einher, die Geldmittel nicht für gegen die Unternehmensziele von AIM gerichtete Aktivitäten einzusetzen.

Herzlichen Dank,

IMA Transition Task Force
Dpt. Secretary General

Neuzuweisung der SFG 77

An:
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Nachrichtlich an:
Central Command
Services Dpt. Section A (London)
Joint Task Force „Tradestop“, Command Authority

Auf Grundlage des CCOM-Beschlusses 7252/74 vom 21. Oktober 2074 wird die Einheit SFG 77 aus der 1. AEF ausgegliedert und ab sofort dem Services Department Section A: Operations, unterstellt. Neuer formaler Dienstort ist London, UK.

Dienstauftrag: Kooperation mit den Vertragspartnern YST – Yutani Space Technologies, Tomorrow Plant Inc. und Asakaturo Research zur Vorbereitung und Durchführung der Expedition Schneeblind.

Als Sicherheitsfreigabe wird im Zusammenhang mit Expedition Schneeblind für das oben adressierte Personal erteilt: B3

Personal: Kommandeur der SFG 77 ist Brigadegeneral Timotheus Master, Services Section A: Operations, London. Ihre Ansprechpartnerin für Personal-, Finanz-, Vertragsfragen und Logistik ist Frau Veronica El-Hamrad. Interessenvertreter der Vertragspartner ist Customer Agent der Yutani Corporation Ako Tameo (YC). Wissenschaftliche Leitung hat Frau Hitashi Sani (YC) inne. Als Demokratische Beobachter sind derzeit nominiert: Hoshin Kenjiro (JIS), Mandala Isemi (AU), Wasili Nowikow (RF). Eine Bestätigung durch den Ausschuss für Demokratische Beobachter in bewaffneten Konflikten der Vereinten Nationen (UNCDOAC) steht aus.

Weitere Details erfolgen mit dem Mobilisierungsbefehl und der Verlegung zum Einsatzort zur Expeditionsvorbereitung.

2074-10-25

Norge, arm dran, Arm ab

Weißes Licht, Meerblick, verschwommene Erinnerungen und ein Trollkrankenpfleger. Ab und an Schmerzen, dann eine Hand an einem Tropf. Für einige Zeit bestimmen diese Eindrücke Norges Weg zurück aus dem erlittenen Trauma.

Bereits einen Tag nach der Havarie der Shigeruu wurde Norge als erster der SFG 77 nach Finistère geflogen. Sein verletzter Arm blieb jedoch zurück. Kurz darauf hatte sich der Robustus soweit erholt, dass er wieder sprechen und klar denken konnte. Man erklärte ihm seine Lage.

Der zweite Arm war zerstört und amputiert worden. Alles was Norge blieb, war sein guter Cyberarm. Doch es gab einen Lichtblick in dieser Misere. Ein Oberarzt kam eines Tages zu Norge und gratulierte ihm, dass er sich am Anfang des Jahres dazu bereit erklärt hatte, an dem experimentellen Programm Future Soldier 2080 teilzunehmen. Organe und Gliedmaßen mit Norges genetischem Abdruck wurden seit dem 17 Januar 2074 in den Laboratorien von Asakaturo Research nachgezüchtet, und das mit einigem Erfolg! Natürlich konnte sich Norge nicht daran erinnern, dazu seine Zustimmung gegeben zu haben. Aber es war nicht schwer zu begreifen, dass das eng mit seinem unbekannten Biomonitor nahe am Herzen zu tun haben musste.

Die Tatsache, dass ein Arm mit genetischer Passung bereits auf Norge wartete, nahm einigen Druck aus der Situation. Aber da gab es natürlich noch ein paar andere Themen zu verdauen: Was war auf der Shigeruu passiert? Was hatte das zu bedeuten? Was war mit Yui passiert? Was fürde das alles für die SFG 77 bedeuten und – vor allem: Was würde Norge erzählen, wenn der Major ihn nach den Geschehnissen befragen würde?

Auch wenn offiziell ein Besuchsverbot für Norge bestand, konnte die SFG 77 aufgrund ihrer Beziehungen und Bekanntheit durchaus zu Norge gelangen und mit ihm sprechen, auch solange er noch auf der sicherheitsbeschränkten Krankenstation lag. Bisher hatte niemand Norge besucht. Weder phyisch, noch über die Matrix. Keine Miru, keine Yui, keine Hitashi Sani, keine SFG 77, keine Stabsoffiziere und auch keine Kara Lance. Dafür hatte er einen wundervollen Ausblick über die Küstenbefestigung des AIM-Hauptquartiers und Zeit zum Nachdenken.

Save our Souls

Ganze eineinhalb Stunden harrt die SFG 77 in einem kleinen Rettungsboot der ehemaligen CASS Shigeruu aus. Norge hängt am Tropf, ist bewusstlos, sein Arm zerschmettert von der Granatenexplosion auf dem Kommandodeck des Flugzeugträgers. Die Bilder sind noch lebhaft präsent in allen Köpfen.

Schwarz gekleidete Gestalten im vollen ABC-Schutz und der Uniformierung einer veralteten CAS-Marine. Männer und Frauen in schwarzen Trockenanzügen, mit Tauchgerät und Harpunen. Darunter eine wohlbekannte, blauäugige Elfe, jung wie eh und je. Dazwischen die Besatzung von AIM, die SFG 77 und überforderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Trondheim und aller Welt. Dann Feuer, Explosionen und Eis. Positive, der auf seine ehemalige Geliebte zweimal schießt und verfehlt. Régicide im Krisenmodus. Zoés lodernde Augen. Und natürlich ein Gigant aus Stahl, der letztlich flammend im Meer versinkt.

Als ein Rettungshelikopter die Unglücksstelle erreicht, hat sich der Atem der SFG 77 bereits erschöpft. Es wurde so einiges besprochen, verworfen, konspiriert und vereinbart. Doch die Folgen dieser Katastrophe waren zu diesem Zeitpunkt für die fünf Kameradinnen und Kameraden noch nicht absehbar.

Als sich das Bergungsteam einer privaten, norwegischen Küstenwache über dem Rettungsbot der SFG 77 abseilt und ihre Köpfe durch die Einstiegsluke steckt, lautet die erste Frage:

„Svenson? Ist hier Harald Svenson?“

Ja, die Ersthelfer vor Ort sind nur aus einem Grund hier: Norge bergen, dessen technisches Interieur ein Notsignal weit hinauf in die Sphären der Satelitten gesendet hatte, just als er seinen Arm und sein Bewusstsein verlor. Von AIM, der Shigeruu oder der SFG 77 wissen diese Leute nichts. Glücklicherweise wird den unerschrockenen Männern und Frauen der Polarmeerrettung schnell das Ausmaß der Lage vor Ort klar. Norge, der mit am schwersten verletzt ist, wird als erster evakuiert, aber das Bergungsteam lässt sich zuvor auf den anderen Rettungsinseln absetzen, um erste Hilfe zu leisten. Gut 30 Minuten später trifft die norwegische Marine ein und die Evakuierung dieses entlegenen Fleckens Polarmeer nimmt volle Fahrt auf.

Von hoch oben, aus den Sichtfenstern der Schwenkflügler betrachtet, wird das volle Ausmaß klar: die Shigeruu ist nicht mehr. Das Schicksal ist gnädig und schenkt ein spiegelglattes Meer, als wäre nichts geschehen.

Entgegen den Befürchtungen der erschöpften SFG 77 wird man nicht sofort getrennt und verhört, sondern als Schiffbrüchige nach Trondheim gebracht, wo alle eine angemessene Versorgung erhalten. Major Uzun ist alsbald persönlich vor Ort, befragt die SFG 77, sorgt sich um die Einsatzbereitschaft, hat Fragen über Fragen. Dann geht es alsbald für alle weiter nach Finistère, sobald es die Gesundheit zulässt. Raus, aus fremdem Hoheitsgebiet, für alle Fälle.

Noch im Rückflug macht eine Tonaufnahme der Seerettung die Runde, die mit Dronen im Wasser nach Überlebenden sucht. Aus den Tiefen des Ozeans klingt ein schwaches Totenlied herauf, das ein sterbendes Save Our Souls begleitet; der Marsch der Shigeruu, auf ihren letzten 5000 Metern.

Partisanen von Armur

02. September 2074

Verhöre und Auswertungen

Die beiden Operationen Himba und Sommerregen hatten nicht nur eine Fülle an Daten für die Aufklärungsabteilung der Task Force Tradestop geliefert, sondern auch zwei Gefangene.

Der eine, Esun, hatte sich als Schlangenschamane im Dienst der Agooji entpuppt. Er wurde in Alt-Folonara von Zoés Doberman-Drone niedergeschossen, als er sich mit Positive ein Duell liefern wollte. Der andere, Noyan, wurde in der Villa des Zweigstellenleiters von DeBeers Omnitech Nigeria IV überwältigt. Offenkundig folgt auch er einer schamanistischen Tradition, die insbesondere durch die Vermischung von Eis und Feuer im Feld aufgefallen war.

Die technische Auswertung von Operation Sommerregen hatte einen umfangreichenh Katalog mit Personendaten zutage gebracht. Es war ein Durchlaufregister für mehrere Jage Verschleppung und Sklavenhandel über eine Route, die man in der Task Force Tradestop nun als die Folonara-Volgograd-Route bezeichnet. Hier liegen nun Namen, Bildmaterial und auch manche biometrischen Daten zu den Opfern vor. Darunter auch der Eintrag zu Andrea Purgess (alias Lena Mason). Mike Goodfewllow hatte dieses Detail an Zoé geleakt, zusammen mit dem Hinweis, dass Lena am 1. November 2073 vor Alt-Folonara auf ein Schiff der Greek F-Line namens Epheseus verladen worden war. Zielhafen dieses Schiffes war Volgograd gewesen. Diesen Weg durch den Bosporus hatten viele Verschleppte angetreten.

Die technische Auswertung von Operation Himba war magerer für die Task Force ausgefallen. Zwar reichten die Informationen, um eine Klage und einen Enteignungsprozess gegen DeBeers Omnitech anzustrengen, aber über die Frage des Menschenhandels gab es keine deutlichen Spuren. Hier waren der Gefangene Esun und die befreite Himba Auna wesentlich bessere Quellen.

Zu dem verstorbenen Ethan McFarlow indes, an dem Positive natürlich ein besonderes Interesse hatte, konnte zumindest herausgefunden werden, dass er als Vermittler zwischen DeBeers und dem seltsamen Schamanen Noyan aufgetreten war. Hierbei ging es wohl um einen Abkauf von Himba, doch die Daten sind dünn. Deutlicher wird, dass Ethan McFarlow allerdings nach Negatives Verschwinden nach Afrika 2068 einen Patent-Coup begangen hatte und viele Erkenntnisse aus der gemeinsamen Arbeit mit Negative für eine neue Unternehmensgründung genutzt hatte. Man könnte von Patentraub an Negative sprechen. Das wirft weitere Fragen auf. Doch inwieweit McFarlow in Negatives Schicksal während seiner zwei „dunklen Jahre“ verwickelt gewesen war, hat er mit ins Grab genommen.

Was man Ethan McFarlow mittlerweile jedoch vorhalten kann ist, dass er sowohl Technologie als auch Menschen in das Erwachte Yakut hat schmuggeln lassen (siehe Aussagen von Noyan weiter unten). Die Patente zur Prospektion von erwachtem Mineral (v.a. Orichalkum) hat McFarlow mit Sicherheit in den Minen von Nigeria zu geld gemacht. Möglicherweise aber auch durch einen Verkauf an unbekannte Abnehmer im Gebiet des Erwachten Yakut.

Esun

Esun

Der gefangene Esun aus der Operation Sommerregen ist ein stämmiger Schwarzafrikaner, nach eigenen Auskünften aus Sierra Leone stammend. Er ist ein Schamane eines Schlangen-Totems und er muss als Mitglied der Agooji angesehen werden. Es ist das erste Mal, dass AIM ein Mitglied der Agooji lebend gefangen nehmen konnte.

Esun hat bisher eingestanden, für die Agooji den Schwarzmarkthandel mit der arkanen Droge „Ghost“ zu unterstützen. Hierzu werden Pflanzen aus dem erwachten Dschungel illegal ausgeführt. Er inszeniert sich als kleiner Aufseher für die Interessen der Agooji vor Ort, also in Süditalien. Dort ist ein wesentlicher Umschlagplatz für Drogen nach Europa.

Über Menschenhandel hat Esun bisher nichts verlauten lassen. Er wies darauf hin, dass „die Italiener und Russen in Alt-Folonara Menschen verschicken“, aber von den genauen Hintergründen, will er nichts wissen.

Befragt auf die Umstände seiner Gefangennahme hat er emotional reagiert. Scheinbar hatte er die Absicht gefasst aus Alt-Folonara zu fliehen, als die SFG 77 die Ortschaft in Begriff war einzunehmen. Dann habe er jedoch die Präsenz eines Andikan-Geistes bemerkt und kurz darauf SSG Boucard erkannt. Das habe ihn dazu veranlasst, ihn zu einem Duell herausfordern zu wollen. Das habe sich als töricht herausgestellt, aber in der Situation erschien es ihm sinnvoll und unumgänglich.

Die Verhöre verliefen sehr zäh. Wir vermuten, dass er viel mehr berichten könnte, doch es fällt schwer die richtigen Fragen zu stellen. Er scheint resistent gegen einfache Verhörtaktiken.

Noyan

Noyan

Noyan ist ein Mann Mitte Dreißig und mit scheinbar asiatischen, chinesischen oder mongolischen, Wurzeln. Er wird als Schamane klassifiziert, wobei sein Totem unklar ist. Aus den Einsatzberichten zu Operation Himba ist anzunehmen, dass er Elemente als Totem verehrt oder aber in der Lage ist, elementare Kräfte ähnlich wie ein Hermetiker zu binden.

Noyan gibt an, ein „Gesandter aus dem Erwachten Großkönigreich Yakut“ zu sein. Diese Behauptung verbindet er mit der Forderung umgehend freigelassen zu werden. Er erkennt seine Lage als Gefangener nicht an und akzeptiert auch niemanden von AIM oder Nigeria als Verhandlungspartner auf Augenhöhe.

Sofern seine Behauptung stimmt, ist davon auszugehen, dass die wirren Reden über ein Königreich in Yakut ihren Ursprung in einer psychischen Störung haben, die immer wieder von Personen aus Yakutien beobachtet wurden. Seine Berichte sind widersprüchlich und gespickt von unzusammenhängenden, mythologischen Bildern.

Als Erklärung für seine Anwesenheit in Nigeria hat er mehrmals in verschiedenen Varianten geschildert, dass er Menschen kaufen will. Der Zweck ist unklar, aber scheinbar wollte er gefangene Himba abkaufen und nach Yakut bringen. Die Aussagen scheinen ins Bild zu passen, irgendwie, aber als Zeuge ist Noyan keinesfalls belastbar. Ethan McFarlow hätte hier sicher bessere Aussagen geben können, denn scheinbar hat dieser die Verbindung und Anreise für Noyan nach Nigeria organisiert. Noyan hat jedenfalls mehrfach erwähnt, dass McFarlow ein verlässlicher Schieber für Menschen in das Erwachte Yakut gewesen sein soll. Zudem habe er „technologische Wunderwerke“ in „unser Land“ gebracht.

Auna

Auna

Die im Zuge der Operation Himba aus der DeBeer-Villa befreite Auna ist genetisch gesehen eine Himba und auch in der erwachten Namib halb-traditionell aufgewachsen. Zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung nach Nigeria war sie vierzehn Jahre alt. Sie spricht gutes Englisch sowie einen Dialekt der Himba, der nur noch von kleinen Volksgruppen gesprochen wird. Unter anderem von ihrem Clan der in der Tagebaumine Nigeria IV gefangen gehalten wird.

Auna ist kooperativ und hat in ausführlichen Interviews geschildert, wie die gefangenen Himba „gezwungen“ werden, Rituale zur Besänftigung des Landes durchzuführen. Dabei scheint Auna den „Zwang“ der gefangenschaft zwar zu sehen und zu spüren, aber sie sagt auch, dass ihr Clan bereitwillig in der Mine bleibt und diese Rituale des Landes vollführt. Sie scheinen zu glauben, dass die Tagebaumine sich ansonsten in eine sehr große Gefahr für Land und Leben verwandeln würde. Daher auch Aunas Aussage, dass sie die Misshandlung und Gefangenschaft ihres Clans zwar beendet sehen will, sie wäre aber gleichzeitig auch bereit zurückzukehren und ihr Leben auf dem Felsplateau inmitten der Mine weiter fortzuführen.

Die politische Lage sieht dahingehend erfolgsversprechend aus. Mercenary Inc. wird allem Anschein nach den Auftraggeber schlicht wechseln und die Mine wird nun unter nigerianischer Flagge weiter betrieben werden. Allerdings wird sich die Lage der Himba deutlich verbessern. Insbesondere dann, wenn sie tatsächlich bereit sind, dort weiterhin zu bleiben und das „Land zu besänftigen“. Hier ist noch keine abschließende Entscheidung gefallen.

Memo, CEO

Eine aufgezeichnete Trideo-Botschaft erreicht Régicide, Norge, Zoé, Copper und Positive am 29. Dezember 2073, zwei Tage nach dem Ende der Operation Untamed Pride. Absender ist Jacqueline Walters, CEO von AIM. Die Aufnahme findet in einem modernen Büro statt. Sie sitzt an einem Schreibtisch aus Glas. Im Hintergrund eröffnet ein Panoramafenster den Blick auf den Atlantik hinter einem Vorhang aus wirbelnden Schneeflocken.

„Chief Miller, Captain Morellè, Sergeant Boucard, Sergeant Svenson, Sergeant Breslin – diese Nachricht ist für sie bestimmt.

Ich hoffe sie verzeihen mir, wenn ich mich direkt an sie wende. Normalerweise ist es nicht meine Art, mich in die Arbeit des hochgeschätzten Central Command einzubringen. Ich bin ohnehin nicht dazu geeignet zur hervorragenden Qualität unserer militärischen Arbeit beizutragen. Ihr vorgesetzter Offizier hat mich aber ermutigt, meinem Wunsch nach einem persönlichen Memo nachzukommen.

Vorweg möchte ich aus ganzem Herzen Master Sergeant Svenson eine schnelle und vollständige Genesung von seiner schweren Verletzung wünschen. Aber auch die anderen von ihnen haben harte Entbehrungen und Verletzungen hinnehmen müssen, die mitunter nicht spurlos an kämpfendem Personal vorüber gehen. Seien sie sich unserer unbedingten Unterstützung auf ihrem Weg der Erholung sicher.

Es ist schwer, glaubhafte Worte für die Dankbarkeit zu finden, die ihnen unsere Association schuldet. Nachdem ich über die strategischen Ergebnisse und auch einige taktische Schlaglichter ihrer Arbeit in Dahomey informiert wurde, erfüllte mich dies mit sehr großem Stolz. Sie haben weit über die erwartbaren Maßen hinaus einen Einsatzwillen gezeigt. Und mehr noch, sie haben den Mut gehabt, ihren persönlichen Idealen zu folgen, als sie sich abseits jeglicher Einsatzleitung unter widrigsten Umständen wiederfanden. Ideale, die zudem im Einklang mit den Idealen unseres Unternehmens stehen. Damit dies so geschehen konnte, mussten alle Teilbereiche von AIM hervorragende Arbeit leisten. Und damit meine ich bereits ihre Personalauswahl, die Grundsatzabteilung, das Policy Board, ihre Vorgesetzten, die ihnen jederzeit voll vertrauten, und natürlich sie selbst.

Die Kampagne AIM Matters war das strategische Kind unserer Afrika-Abteilung des Policy Board und ich denke ich kann mit Sicherheit sagen, dass die tadellose Zusammenarbeit von Miss Clark und ihnen im Feld, trotz aller Umstände, der Schlüssel dafür waren, dass die Association heute Dahomey dabei unterstützen darf, eine schwere Krisenzeit zu überwinden und gestärkt aus dem „zweiten Erwachen“ hervorzugehen.

Das Central Command wird seinen Weg finden, ihnen für ihre militärischen Taten zu danken. Und ich höre auch, dass das Services Department und Policy Board eine Bonuszahlung und Würdigung ihrer zivilen Heldentaten erwägt. Ich freue mich sehr für sie! Doch was bleibt mir dann noch zu tun, außer dankende Worte zu sprechen?

Ich denke nicht viel. Doch ich möchte gerne noch ein Versprechen ergänzen. Ich hoffe, sie bleiben unserer Association erhalten, denn ich setze mich dafür ein, dass Persönlichkeiten wie sie eine aufstrebende Zukunft in unserem Haus haben. Sie haben in ihren wenigen Dienstjahren für AIM bereits außerordentliches geleistet. Mir ist daran gelegen, dass sie ihren Weg gehen können, der uns gemeinsam weiter zur Verwirklichung unserer geteilten Ziele bringt.

Alles herzlich Gute wünsche ich ihnen aus einem verschneiten Finistère. Verbringen sie einen friedlichen und erholsamen Jahreswechsel.“

Auswertung Wüstenduft

Gesamtlage

OP Wüstenduft – Taktische Karte

Im Morgengrauen des 14. Dezember 2073 ist die SFG 77 nach Nakatombe zurückgekehrt, nachdem Operation Wüstenduft mit Teilerfolgen beendet wurde. Im Laufe der nächsten drei Tage drängte die Task Force Landfall den Großteil der gegnerischen Verbände aus dem Gebiet Nkambo zurück. Während Teile der Agooji-Verbände entweder geordnet oder flüchtend das Heil im erwachten Dschungel suchten, wurde der Hauptteil der Milizen und Terroristen entweder nach Norden vertrieben oder festgesetzt. Dies bedeutet praktisch, dass der akute Gefahrenherd am Westrand der Stammesgebiete am Tawani-See beseitigt ist. Derzeit wird die Sicherheitslage an lokale und legitimierte Milizen oder auch Mercenary Inc. übergeben, damit kein Vakuum verbleibt, wenn AIM seine Kräfte zurück nach Nakatombe konsolidiert.

Aufklärung am Äußeren Randposten

Die Eroberung des Äußeren Randpostens lieferte zentrale Hinweise gegen die feindliche Gruppierung der Agooji. Zum einen wurde der Gegner in ein massives Rückzugsgefecht um die ausgedehnten Minenanlagen verwickelt. Die dort versteckten Panzerfahrzeuge (12 Kampfpanzer, 20 Truppentransporter, sechs Transporthelikopter) konnten aufgrund der fehlenden Lufthoheit des Gegners nicht effektiv ins Feld geführt werden. Derzeit arbeiten wir uns systematisch durch die Tunnelsysteme durch. Wir gehen davon aus, dass dieses schwere Material zur Vorbereitung einer späteren Offensive gesammelt wurde. Woher der Gegner eine zukünftige Luftunterstützung (jenseits der örtlichen Elektronischen Kriegsführung und Raketenabwehr) heranzuführen gedachte, ist noch unklar.

Das arkane Tor wurde gesichert und wird derzeit untersucht. Befragungsergebnisse ergaben, dass es sich um einen „alten Zugang“ zum Köngreich Agooji handelt. Personen und Geister, die mit dem erwachten Dschungel oder diesem Königreich in einer besonderen Beziehung stehen, haben dieses Portal für sich zu nutzen gewusst. Ein praktischer Versuch zeigte, dass sich die Wahrnehmung des Dschungels und die Responsivität für arkane Kräfte durch das Durchschreiten des Portals steigern. Wir haben die Versuche abgebrochen, um kein weiteres Risiko einzugehen.

Wir konnten die Identität von Senator Mun Kapadin bestätigen und seinen Tod feststellen. Dieser Kollateralschaden ist ärgerlich und wurde durch einen Fehlbeschuss verursacht. Ob der Tod durch eine Luft-Boden-Rakete von AIM oder durch eine Boden-Boden-Rakete der Feindkräfte verursacht wurde, ist Gegenstand einer Untersuchung.

Der Schamane Logotai wurde als bestätigter Abschuss verbucht. Seine genaue Herkunft oder sein Hintergrund ist unklar. Zeugenaussagen der Gefangenen bestätigen die Vermutung der SFG 77, er sollte im Schwemmland die Verfolgung des Löwen-Totems anleiten und die Hilfsbemühungen im Katastrophengebiet angreifen.

Erfreulich ist, dass abgesehen von Senator Kapadin keine zivilen Verluste beklagt wurden. Die wenigen Zivilisten konnten in den Dschungel oder in Schutzräume fliehen. Die Bevölkerung des von ihnen entdeckten, traditionellen Dorfes wurde vorerst zur Befraung deportiert.

Die „Stille Kompanie„, die von ihnen aufgespürt und begrenzt dokumentiert wurde, ist verschwunden. Wir sind alarmiert und arbeiten mit einer Gruppe aus Sonderermittlern daran, dieses Detail nicht aus den Augen zu verlieren und die Hinweise die wir haben, umfassender auszuwerten.

Befragungen der Gefangenen

Okobe Ambéto

Nachfolgend finden sie die wichtigsten Ergebnisse der Gefangenenbefragungen in gekürzter Form.

Okobe Ambéto: „Enomi hat meine Macht über mich und mein Schicksal von ihrer ‚Mutter‘ geerbt. Sie wusste, dass sich die Totemkräfte dieses Landes von mir fernhalten, weil die Hexe einen Fluch in mich gebannt hat, als Mensch und Nashorn ein gemeinsames Schicksal teilten.“

„Enomi ist eine Tochter des Königs der Agooji. Sie ist nicht die einzige. Ich glaube nicht, dass der alte König noch lebt. Sein Ahnengeist spricht durch seine Nachfahren. Sie haben es geschafft die erwachten Idola für sich zu bändigen. In geheimen Tälern haben sie Wege in die Vergangenheit geschlagen. Die Idola werden dort angelockt, gefangen, getäuscht und eingesperrt. Die Agooji wissen meisterhaft, wie man das Böse in ihnen nährt. Für jede Idola haben sie ein Tal. Dort schwelgt alles und jeder in den Prinzipien der Idola, die dort herrscht. Es sind rauhe Orte, in die Vergangenheit gestürzt. Wie ein Albtraum. Nur die Anführer der Agooji gehen dort ein und dann gestärkt wieder hinaus. Alle anderen verzweifeln als Sklaven und Gefangene.“

„Was ich glaube? Ich glaube, Enomi wird sich verantworten müssen. Ich zähle mal auf: Erstens, der vereitelte Giftgasangriff auf die Versammlung. Zweitens, die beendete Besatzung des Sandorakels. Drittens, die gescheiterte Beschwörung in Moskuwa. Und jetzt auch noch der Velust des Äußersten Randpostens. Ich weiß nicht, wieviele Tore es noch gibt, aber das war sicher wichtig. Sie selbst wäre mit ihren eigenen Untertanen niemals so nachsichtig gewesen.“

„Ich habe keine Meinung zu alledem! Enomi hat getan, was sie konnte – weil sie es konnte. Ihr könnt mich nicht einsperren. Und ich bin nicht frei. Die Welt dreht sich weiter, nur ich bin immer noch ein verstoßener Junge am Rande eines Dorfes. Ich schaue verstohlen zu den Lichtern in der Nacht. Aber zurück kann ich nicht.“

Kwame (Visagistin)

Kwame: „Enomi dient vielen Idola! Aber ihr stärkster Fetisch ist die dunkle Seite der Labima. Kunst und Täuschung ist ihr Handwerk. Sie durchschreitet das erwachte Land wie ein Künstler die Farben auf einer alten Leinwand abkratzt. Es war klug, ihr nicht durch das Portal zu folgen. Sie verändert die Spielregeln in ihrem Land wie es ihr beliebt! Ich weiß es, weil ich ausgewählt wurde sie zu schminken und auf ihren Reisen zu begleiten, Ich bin keine Visagistin, ich bin Priesterin. Sie wird kommen und mich zurückholen!!“

„Nehmt die Opalwurzel von mir fort! Bitte, ich sage alles, aber dann lasst mich endlich sterben! Ich muss zu ihr, sie ruft mich!“

„Ich kenne dieses Bild, ja. Das ist ein Journalist, Evan Choi. Er wurde in der deutschen Stadt Bellin mit einer Dienerin des Königs zusammengebracht. Dieser weiße Narr fiel auf eine Heiratsagentur rein. Er wollte sich eine Frau kaufen, wie eine Sklavin. Die Herrin Enomi hat ihn selbst befragt und dann in das Tal des Leidens geschickt. Geister schlüpfen aus ihm, wie Maden im Fleisch. Er ist tot.“

„Ja, ich habe Enomis Maske getragen, bevor das Haus zusammengestürzt ist und der Soldat mich niedergeschossen hat. Ich bin ihr wie eine Schwester [weint]! Ich habe ihre Füße gewaschen und ihre Hände verziert. Ich habe ihre Schönheit zum Vorschein gebracht, und dann hat sie mir diese wieder ausgeliehen, damit ich sie schütze und die Feinde verwirre. Das war wahre Liebe, und jetzt bin ich verstoßen! Ich möchte hier raus, lasst mich gehen!!“

„Nein, in Nakatombe war ich nie. Dort war ein anderer Spion von uns. Er hat die beiden Archaischen fortgelockt und dann später das Vertrauen von eurem ‚Weißen Diener Andikans‘ erschlichen. Ich glaube, ihr habt ihn gefangen. Aber das ist egal. Er hat seinen Teil geleistet. Ihr glaubt, ihr seid einen Schritt voraus? Ihr folgt wie Ameisen einer Zuckerspur in eine Grube aus Benzin.“

Barima (Hermetikerin)

Barima: „Irgendwann wird jemand kommen, der mächtiger ist als ihr, und dann wird meine Seele aus diesem Kreis gerissen, ob ihr es wollt oder nicht. Die Opalwurzel ist ein schlauer Zug, aber es ändert wenig. Ich bin nur eine Leibwächterin.“

„Das Tor? Der Weg durch die Unterwelt und das Wasser führt in das alte Königreich. Dort gibt es eine Welt hinter der Welt, und Wunder aus Magie und Technik, die ihr nicht zu glauben wagt! Wer hindurch geht, wird sachte entwurzelt aus der Welt, und sieht zwischen Farbe und Leinwand. Es ist ein Labyrinth, nur die Kinder des Königs können es verstehen. Wir Diener folgen nur ihrem königlichen Duft und lassen uns von den Ahnengeistern führen.“

„Die ‚Grenzgänger‘ sind lautlose Wanderer in der erwachten Welt. Sie werden Enomi beschützen, und sie wird die Grenzgänger beschützen. Was ihr ‚Stille Kompanie‘ nennt, ist die Verbndenheit des Landes und die Kraft der Idola! Sie folgen den ungesehenen Pfaden, wie sie kein Schmuggler sich erträumen könnte. Die Waffen, die ihr gesehen habt, sind nicht nur aus euren Schmieden. Die erwachte Welt holt sich zurück, was ihr schadet, und dann erschafft sie sich neu und mächtiger als zuvor. Es ist hier wie anderswo: Die Idola haben den Weg in die Zukunft entdeckt und sich von der Vergangenheit losgemacht. Ihr nennt sie ‚dunkel‘, doch sie sind der Morgenstern der Siebten Welt!“

„Lokotai? Ich hasse den Vielfraß, er ekelt mich an. Seine Verwendung war jedoch klug von der Herrin durchdacht. Er hätte den Löwenkönig finden und verschlingen können. Jetzt ist er auch gefangen, nehme ich an?“

„Ha! Allerdings kenne ich diese Frau. Ihr Name ist Lena Mason. Sie ist eine von euch [spuckt gehässig]! Sie hat großes Leid durchstanden, aber ihr könnt euch glücklich schätzen. Sie war zu wertvoll um zu sterben. Sie wurde auf die ungesehenen Pfade geschickt und arbeitet als Sklavin in irgendeinem Winkel der Welt bis sie stirbt. Das ist der Lohn für ihren Verrat an euch.“

„Herrin Enomi war zuerst belustigt, als sie vom Fall des Prinzenpaares hörte. Aber jetzt kennt sie keine größere Quelle ihres Zorns als diesen Jérome, den Schamane der Weißen Andikan. Sie hat Bilder gemalt, die sein Schicksal zeigen, und sie wurde von einem Diener der Dunklen zu einem geheimen Ort geführt, wo alles mit ihm begann. In übermenschlicher Rage habe ich sie gesehen. Und dann kam der Narr zu einem der unsrigen und hat ihm sein Herz ausgeschüttet. Da lachte sie, so herzlich wie ein Kind. Ich glaube, Jérome wird untergehen, wenn er diesen Weg weiter geht. Ich hätte ihn gerne getroffen… Pech für ihn, dass die Bilder der Herrin in den Flammen eurer Raketen verbrannt sind.“

Kambo (Gruppenführer)

„Es geht alles um Gefangene. Nur ein kleiner Teil bleibt im Königreich. Er wird in die Täler geschickt, wo die Idola absolut herrschen und sich weiden. Der größte Teil geht auf die Schmuggelrouten. Ich weiß keine genauen Zahlen, aber es müssen Zehntausende gewesen sein. Ich habe Listen gesehen, länger als ein Troll. – Wohin? [lacht] Ich habe keine Ahnung. Viele wurden an Konzerne verkauft, oder an nahegelegene Länder. Ich weiß von Bergbauarbeiten. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, ehrlich. Ich habe die Besessenheit der Enomi und ihrer Familie nie verstanden. Am Ende geht es ums Geschäft, das ist meine Meinung. Und am Tawani-See um Eroberung, ganz klar. Aber was die Sklaven betrifft, das war ein Geschäftsmodell. Die haben Spezialisten gesucht, Hunderte. Fachkräfte aus allen Bereichen. Es muss eine gigantische Maschinerie der Verschleppung geben, die seit Jahrzehnten Menschen aus Dahomey in alle Welt exportiert.“

„Ich weiß es doch nicht! Meine Aufgabe war der Konvoi- und Anlagenschutz dort. Die Panzer und all das hochmoderne Gerät kamen aus dem Dschungel. Das waren geheime Schmuggelwege, vorbei an jeder Kontrolle. Da waren chinesische Waren, sehr viel aus China. Aber auch Russland und Aztlan. Sachen aus Europa hatten wir nur selten. Wofür die Kavallerie in den Minen gedacht war, wussten wir nicht. Einige haben spekuliert, dass es gegen Moskuwa eingesetzt werden sollte. Aber das hätte wohl keinen Sinn gemacht, solange Mercenary Inc. dort die Stadt befestigt hält. Ich glaube, es sollte nach Norden gehen, gegen diese Versammlung und die fremden Konzerne am Orichalkum-Gürtel. Was auch immer stimmt, der Plan wurde vereitelt.“

„Ich war immer frei, so frei wie man als Soldat eben sein kann. Ich weiß aber, dass der Kreis der ‚echten‘ Anführer im Bann der Familie stand. Die Agooji haben ihnen mit Seelenfolter gedroht. Ich habe es gesehen, wie ein Mann zu einem Zombie wurde. Es war Vodun aus der dunklen Erde des Landes! Ich habe nur als Soldat gedient. Und Herrin Enomi hat mich immer respektvoll und wie einen Leibwächter behandelt. Man musste nur wissen, dass sie eben exzentrisch ist, dass man sie als Herrin ansprechen muss. Wenn ich alleine mit ihrem Fahrer und ihr und ihren Handmaiden im Auto saß, hat sie manchmal Scherze gemacht und wir haben zusammen gelacht. Aber das war auch immer unheimlich. Ich hab den Blick der anderen im Nacken gespürt…“

Yanu (Aufklärer)

„Über Funk kam der Befehl, dass wir Kameo, also Herrin Enomi, mit Logotai und anderen von der Gruppe Echo am Tor treffen sollten. Enomi tauchte auch auf, aber Logotai hat es nicht geschafft. Enomis Leibwächter folgten ihr durch das Portal und ich habe den Rückzug gedeckt, mit den anderen. Der Plan war eigentlich, dass uns die Herrin alle durch die geheimen Wege führt, zu den Grenzgängern. Und dass wir dann evakuiert werden. Ich nehme an, Enomi ist es gelungen. Für alle anderen hat es nicht gereicht. Auch Okobe musste sie zurücklassen. Ich glaube, er war bewusstlos.“

„Die ‚Grenzgänger‘ sind eine Elitetruppe. Mechanisierte Infanterie, würde ich sagen. Ich bin auch einmal mitgereist. Der Wald öffnet sich, um sie zu empfangen oder frei zu geben. Es ist unglaublich. Und im Verborgenen gibt es mobile Einsatzzentren, wie von einem anderen Stern. Aus Glas gebaut, so glatt wie ein Spiegel. Mein GPS war einen Scheiß wert. Dann haben wir Waffen bekommen, absolut lautlos. Die waren aus Amerika. So haben wir Anfang Oktober Stammeskolonnen überfallen und Reporter festgesetzt. Einige wurden ausgetauscht und dann haben wir die ganze Ladung Reporter gefesselt auf einem LKW wieder auf einer Straße abgesetzt. Ich hab keine Ahnung was das sollte. Ich glaube, es war eine Art Geschenk, für die Hausa, oder Mercenary Inc.“

„Am Äußeren Randposten haben wir uns immer sicher gefühlt. Ich wäre früher keinen Meter in den erwachten Dschungel gegangen, aber die Agooji leben dort seit Generationen. Ich habe gedacht: ‚Selbst wenn sie Marschflugkörper gegen unsere Stellung hier einsetzen, du musst nur in den Wald und den Fluß rauf und das wars.‘ Ehrlich, irgendwann habe ich immer die Grenzpatroullien übernommen, die am tiefsten drin waren. Ich hab mich gefühlt, wie was Besonderes. Nichts in diesem Dschungel hätte mir was anhaben können! Scheiße man, ich war Aufklärer in der Leibgarde des Königshauses der Agooji!“

Überstelltes Beweismaterial

Am 6. Dezember 2073 wurden von SGT Copper folgende Beweismittel und nachrichtendienstlich relevante Fundstücke von Nakatombe an die AIMS Cassipoeia überstellt.

  • Evan Choi: Haare, Zahnbürste, DNA aus seiner Wohnung; Rechercheunterlagen, Dokumente, Datenkristall, Datenserver
  • Okobe Ambetu: Mieter des Flugzeugs in dem Evan Choi verschwand; Aussagen zur Anmietung, Portraitfoto und Aufnahmen
  • Enomi: Portraits und Bilder aus dem Flugzeug, in dem Evan Choi verschwand; Proben verschiedener Parfums von Égalitérnité.
  • Personendaten zu Evan Choi, Okobe, Enomi; Details zum Flugzeug, Stimmaufnahmen
  • Afkarasar-Miliz Capo (Nakatombe): Dokumente, KArtentablet, 3 Notebooks, Simsenseplayer und Chips, 10 Handys.
  • Tal der Bunten Steine: Daten aus dem BattleTac-System von Mercenary Inc., 20 Erkennungsmarken, 9 SINs von Leichen, Daten aus Headmemory einer verbrannten Leiche (MercInc.)
  • Große Zusammenkunft: Ausrüstung der 3 Agooji-Spione, 2 Simsense-Chips (darunter das „Sklavenprofil“), Parfum, 1 Headmemory
  • Sandorakel: 2 Handy, 4 Datenchips, Datenkristall (Entschlüsselung) von Agooji-Schamane und Späher; Datensammlung aus dem erbeuteten Material von Mercenary Inc. am Sandorakel
  • CPL Murdock (Zeuge Mercenary Inc.)

Luftholen

Andikan vs. Afkarasar

Im Morgengrauen des 3. Dezember war die schwarze Rauchsäule aus der Unterstadt von Moskuwa Downtown bereits zu leichtem Smog zerblasen. Die SFG 77 hatte sich ins HQ zurückgezogen, teilweise deutlich verletzt und erschöpft, nachdem Beweismittel so gut wie möglich gesichert worden waren. Nur Negative war am Ort des Grauens zurückgeblieben, hatte sich der Gruppe angeschlossen, die all die Gefangenen und Leichen aus dem Wasserreservoir geborgen hatte. Unter der Gruppe der herbeigeeilten Demonstranten und Aktivisten waren auch Sistren und Aidren sowie Clark gewesen.

Die Inkarnation der Andikan war nicht leicht zu entschlüsseln, doch als Journalisten und letztlich auch die Ordnungsbehörde eintraf, dauerte es nicht lange, bis die unerhörten Vorgänge der Nacht die Nachrichten dominierten. Negative und Clark waren zu dem Zeitpunkt bereits wieder untergetaucht, konnten sie es doch nicht riskieren der Ordnungsbehörde Rede und Antwort stehen zu müssen.

Negative sollte jedoch an den Ort zurückkehren. Bereits am nächsten Sonnenuntergang war er erneut dort. Das ganze Gelände war abgesperrt, weiße Zelte aufgebaut, doch zahlreiche Demonstranten lagerten davor. Manche kamen und hofften auf Informationen zu den geborgenen Leichen oder geretteten Personen. Fast alle kamen um das übergroße Gesicht der Idola Andikan zu sehen. Es war eine Mischung aus urbanem Material, Schrott und übernatürlichem Lichterglanz. Am Tag hatte das gütige und regungslose Gesicht an Substanz verloren und war durchscheinender geworden. Wie Negative wusste, würde es nicht ewig verweilen. Doch für den Augenblick war Andikan für alle sichtbar und niemand hatte es gewagt, einen Sichtschutz vor die gut vier Meter hohe Erscheinung zu stellen. Es war letztlich ein Denkmal für die Abwendung einer schrecklichen Katastrophe, deren mutmaßliches Ausmaß in den Medien stündlich nach oben revidiert wurde.

Andikans Präsenz am Ort nahm dem Grauen im Wasserreservoir seinen Schrecken. Statt Furch und Verzweiflung sah man Ruhe und Entschlossenheit auf den Gesichtern der Ordnungshüter und Helfer. Auch die Personen, die zuerst mit der SFG 77 die Gefangenen und Leichen geborgen hatten, zeigten in der psychologischen Betreuung keine Anzeichen von Schock oder Traumata. Niemand der Überlebenden starb auf dem Vorplatz.

Negative war dazu verdammt, am Rand des Geländes zu stehen. Aber das machte keinen großen Unterschied. Im Gespräch mit neuen und alten Bekannten konnte er sicher stellen, dass die Botschaft richtig ankam. Und so wurde bereits am 4. Dezember in den Medien davon berichtet, dass in Downtown Low eine weiße Manifestation der Idola Andikan gesichtet worden war. Afkarasar hatte verloren.

Die Dandys

Nicht nur dem Lieutenant war es ein Anliegen gewesen, die schändliche Kollaboration der sogenannten „Dandys“ ans Licht zu bringen. Fink, Clar, Mike Goodfellow, Negative und auch viele der Überlebenden aus dem Wasserreservoir sorgten dafür, dass die Gesichter der Dandys als Agooji gebrandmarkt wurden. Die SFG 77 wusste, dass die Dinge nicht so einfach lagen, aber der Sache war es allemal zuträglich.

Jeder Versuch, sich auf die Fersen der Gruppe zu setzen, scheiterte schon im Ansatz. Es brauchte kaum zwei Tage, dann war klar, dass die Überlebenden untergetaucht waren. Zu Persona Non Grata in der Unterwelt verkommen und in allen Medien präsent, konnten sie auf wenig mehr hoffen, als ihre verbliebenen Kontakte zu nutzen um sich abzusetzen. Die Dandys hatten das Kräftemessen mit der SFG 77, das in Evan Chois Appartment begonnen hatte, letztlich verloren. Die letzten Informationen zu den Dandys kam von Sistren und Aidren. Angeblich hatten sich die Dandys schnell und professionell über Nigeria aus dem westafrikanischen Raum abgesetzt. Das Kopfgeld kam zu spät. Vielleicht war es eine falsche Fährte. Aber vielleicht sagte es auch etwas über die Einschätzung der Gesamtlage aus, zu der diese Profis aus der Unterwelt letztlich gekommen waren. Es wäre für die SFG 77 sicherlich von Vorteil, wenn diese gefährlichen Spielfiguren damit vom Spielfeld genommen worden waren. Lenas Schicksal war damit jedoch auch weiter verfinstert worden.

Krankenhausreif

Nach dem Ende der Operation Steinmetz hatte Captain Uzun noch am Mittag des 3. Dezember einen deutlichen Befehl an Lieutenant Morèlle gerichtet: Alle Operationen in Moskuwa seien einzustellen. Régicide und Negative sollten sich gemäß der Einschätzung von Norge einem Krankenhausaufenthalt unterziehen. Hierzu wurde nun die Erlaubnis erteilt, die offiziellen SIN als Angestellte von AIM einzusetzen. Es hatte sich scheinbar etwas getan, hinter den Kulissen. Captain Uzun war überrasch, dass sich Régicide mehr oder weniger bereits selbst eingewiesen hatte.

Das Kommando vor Ort habe Norge zu übernehmen, bis die exakten Anweisungen für eine Operation Good Neighbour ausgegeben würden. Faktisch sah das dann so aus, dass Negative und Régicide diskret in das Krankenhaus in Moskuwa Downtown eingeliefert wurden. Régicide sollte vier Tage Zwangspause verordnet bekommen, in dieser Zeit konnte sich sein Körper halbwegs erholen und auch seine diagnostizierte Erkrankung konnte spezifiziert und behandelt werden. Negative gestattete man regelmäßige Ausflüge, in denen er sich wieder den Vorgängen am Wasserreservoir widmete. Beide wurden auch intensiv durch schamanistische Heiler überwacht und in der Erholung begleitet. Das hielt Régicide aber nicht davon ab sein Augenmerk ab und an auf die erbeutete Orichalkum-Opal-Wurzel zu werfen und einige interessante Einsichten zu gewinnen. Doch davon an anderer Stelle mehr.

Währenddessen bekamen Norge, Zoé, Copper und Clark neue Befehle. Offiziell waren Negative und Régicide außer Dienst gestellt und Finnja Skorgen merkte zynisch an, dass es wahrscheinlich kein Zufall sei, dass man ausgerechnet die beiden arkan erwachten Teammitglieder schachmatt gesetzt hatte, während die Operation Good Neighbour ihre Fahrt aufnahm. Sie vermutete, dass die extremen arkanen Vorfälle und die Einbindung der eigenen Arkanen das Motiv sein könnte. Wäre Norge nicht so groß und undulsam gewesen, hätte sich Finnja Skorgen wahrscheinlich über die ironie lustig gemacht, dass nun Norge das Kommando hatte. Doch sie sparte sich diese Bemerkungen.

Neue Lage, neue Befehle

Am 4. Dezember 2073 lag die SFG 77 ruhend im HQ, nur Negative und Régicide waren noch im Krankenhaus, wo auch Finnja Skorgen oft verweilte um die beiden über Neuigkeiten zu unterrichten und Wache zu halten (sie traute der Security natürlich nicht). Dann bekam Norge über das Terminal die Information von Uzun, dass es eine Grundsatzentscheidung über den weiteren Fortgang in Dahomey gegeben habe. Operation Good Neighbour und die Aktivierung der Task Force Landfall waren bewilligt worden.

Operation Good Neighbour sollte im wesentlichen daraus bestehen, das unkontrollierte Territorium zwischen Großer Zusammenkunft, Nigeria, Mbandé-Sprawl und Tawani-See unter die Lufthoheit und Gebietskontrolle von AIM zu bringen um die weitere Politik durchzusetzen. Die Operation begann sofort – unverzüglich.

Das HQ in Moskuwa sollte in zwei Schritten geräumt werden. Am 5. Dezember wurden Norge, Zoé, Copper und Clark nach Nakatombe gesendet. Dort war der Brückenkopf für die Task Force Landfall einzurichten. Drei Tage später, am 8. Dezember, würden Régicide und Negative mit Finnja Skorgen nachrücken und die SFG 77 wieder den regulären Dienst antreten, mit Régicide im Kommando.

Bis zum 8. Dezember hatte der vorauseilende Teil der SFG 77 klar umrissene Befehle. Etwas, das mancher schon gar nicht mehr gewohnt war:

  • Norge war verantwortlich für die Koordination der Einrichtung des Bückenkopfes für die Luftbrücke aus dem Golf von Guinea in Nakatombe. Anschließend sollte er die Einrichtung eines größeren Lazaretts unterstützen.
  • Zoé fiel die Aufgabe zu, Nakatombe für Landemanöver der Luftbrücke vorzubereiten. Das bedeutete im Wesentlichen die Einrichtung einer Landebahn von mindestens 1500 Meter für Starrflügler, eine Koordination der An- und Abflugwege, Betriebssicherheit und Logistik. Sobald die Luftbrücke stand, konnte Zoé diese Dinge übergeben.
  • Coppers prioritäre Aufgabe bestand darin alle Beweise und Zeugen in den ersten gesicherten Transportflug zu packen, den AIM in Nakatombe auf den Boden brachte. Außerdem sollte Copper die Kooperation mit den Menschen vor Ort sicherstellen und Clark unterstützen.
  • Miss Pria Lakshmi Clark hatte die Aufgabe in Nakatombe nach verlässlichen Partnern zu suchen, Kooperation sicherzustellen und Unterhandel aufzunehmen. Diese Aktionen sollten sobald möglich auf die Große Zusammenkunft ausgedehnt werden, ganz so, wie es die SFG 77 ursprünglich geraten hatte.

Diese Dinge wurden bereits am 4. Dezember mit der Abreise eines Teils des Teams nach Nakatombe begonnen. In den vier folgenden Tagen, bis Régicide und Negative nacheilen konnten, geschah sehr viel. In Nakatombe wurde eine Landepiste eingerichtet und bereits am 6. Dezember landeten die ersten Tarnkappentransporter von AIM. An Bord ein kleines Kontingent Marineinfanterie, Militärpolizei und einige besondere Gäste. Captain Uzun, Specialist Kara Lance und Chief Mike Goodfellow betraten das erste Mal in diesem Konflikt afrikanischen Boden. Der Lieutenant hatte endlich seinen Matrix Man zurück! Mit dabei waren zudem zwei Demokratische Beobachter aus der Afrikanischen Union und Lome.

Was in den nächsten 24 Stunden folgte, war die Ankunft von über 1000 Soldatinnen und Soldaten mit dem Schmetterling auf der Uniform.

Als Régicide und Negative zusammen mit Finnja Skorgen am 8. Dezember in Nakatombe eintrafen, war die Siedlung zu einem Militärlager geworden. Hier lag nun der Brückenkopf der Task Force Landfall sowie das Hauptquartier der SFG 77. Das Command Element der Task Force war in doppelter Kompaniestärke aufgestellt. Das Ground Combat Element war mit fast 500 Personen im Einsatz und hatte den Ort bereits großräumig abgesperrt, Zufahrtswege besetzt. Alle kämpfenden Einheiten waren Luftlandetruppen, darunter eine Schwere Luftlandekompanie aus Trollen sowie zehn Spider Tanks für den Höhenabwurf – mobile Gefechtsstationen für den Abwurf über Kampfgebiete. Die Lufteinheiten der Task Force blieben aus Sicherheitsgründen zum größten Teil auf den Verbandsschiffen im Golf oder in der Luft, aber einige Flugzeuge des 10th Ground Support Wing waren für Alarmstarts in Nakatombe am Boden. Darunter schwere Erdkampfbomber und VTOL-Jets für den Luftkampf und zur Aufklärung. Die 10th Marine Logistics Group hatte die Vorarbeiten von Zoé übernommen und war dabei Nakatombe weiter ausubauen, Wald zu roden, Landepisten auszudehnen, Befestigung und Tarnung herzustellen.

Operation Good Neighbour war bereits im vollen Gange und wartete nun auf ihren Abschluss.

Außerdem waren dem aufmerksamen Auge von Zoé in dem Gewusel zwei Dinge nicht entgangen: AIM hatte eine zweite Sondereinheit herangeführt, die SFG 43. Zudem gab es im Headquarters HQ einen zivilen Berater den Zoé schon einmal gesehen hatte: Ako Tameo, Customer Agent der Yutani Corporation.

Der Spaziergang

Spät in der Nacht von 1. zum 2. Dezember machen sich Norge und Zoé auf in die belebten Straßenzüge von Moskuwa Downtown. Die Nachtzeit ist die Zeit für Arbeit und Vergnügen. Diese Formel bewährt sich auch in der schwierigen, krisengeplagten Zeit. Mit größtmöglicher Ignoranz geht das Leben hier weiter, auch wenn viele dezente Details daran erinnern, dass die Zukunft von Dahomey gerade in der Schwebe ist.

Die großen, glasüberdachten Einkaufsstraßen der Fußgängerzonen summen vom Lärm vieler Sprachen und tieffliegenden Dronen – einige davon deutlich aus dem Horst von Mercenary Inc. Auf den bunten Werbetafeln mischen sich häufig ernste Bilder aus der Tawani-Region, dem überschwemmten Mbandé-Sprawl und der unter Kriegsrecht gestellten Hauptstadt Lome. Auch die Seeblockade ist Thema. Die Flotte von AIM koordiniert Zugang und Abgang des lebenswichtigen Warenstroms aus der ganzen Welt. Ironischerweise sind es nicht die Schiffe, die von der Allianz der Afrikanischen Union aufgehalten werden, die Probleme machen, sondern die plötzliche Explosion von Schmuggelware und undurchschaubaren Stellvertreterverträgen, die der Korruption Tür und Tor geöffnet haben. Dazu zählt auch der räuberische Export von Dahomeys Reichtümern, der sich an der Krisenlage bereichert. Kurz können Zoé und Norge die Silouette der AIMS Cassiopeia in einem Filmausschnitt sehen.

Die beiden lassen sich in einem Ruhebereich inmitten einer der großen Malls nieder und starren eine Weile auf den Nachrichtentrideo bis sie Teil der Kulisse geworden zu sein scheinen. Zoés wachsame Ohren und Augen registrieren die Drohnenflüge, die bewaffneten Patroullien und neugierigen Augen vorbeiziehender Fremder. Von den toten Winkeln der Kameras gar nicht zu sprechen. Immer wieder öffnen sich großzügige Zeitfenster für öffentliche Privatheit. Zoé gibt Norge grünes Licht und er nimmt die Radio Sorceress aus seiner Tasche.

Der porzellangleiche Kopf schaut sich ungelenk um und die lilafarbenen Augen erfassen neugierig die Umgebung. Wie auch die echte Miru, blinzelt die Puppe nicht. Als hätte die Puppe gemerkt, dass sich Aufmerksamkeit auf sie richtet, spricht sie mit bewegtem Mund in kindlicher Tonlage:

„Norge! Du musst aufpassen. Der Äther ist voll von bösen Drachen und schädlicher Software.“

Die Radio Sorceress schaut zu Zoé.

„Ich kann euch nicht dienen, wenn ich mich nicht mit euren digitalen Gefährten verbinden kann. Fügt mich als Avatar zu euren AR- und VR-Brillen hinzu, macht mich mit euren Smartphones und Data Pads bekannt. Ich kann auch eure Heimterminals beschützen.“

Die Puppe legt den Kopf schief und Zoé schaut kurz zu Norge, der die Schultern etwas ratslos hebt und nickt. Dafür sind sie ja hier: um die Sache auszuprobieren. Zoé nimmt ein neu erworbenes Mobiltelefon aus dem kleinen Rucksack hervor und befreit es aus seiner Verpackung. Die kleine Miru-Puppe streckt behende beide Arme nach dem Gerät aus. Zoé reicht ihr das Telefon mit dem Hinweis, dass dies das neue Gerät von Norge ist.

Kaum hat die Puppe das Smartphone in der Hand, leuchtet das Display auf. Die Radio Sorceress legt eine kleine Hand auf den Induktionsbereich des Bildschirms und plötzlich explodiert ein Zauber aus Farben und Formen auf dem Mobilgerät. Ein Abbild der Radio Soreress erscheint nun jenseits des Bildschirms und blickt die Schwester-Puppe spiegelgleich an. Dann beginnt die Radio Sorceress im Telefon ordentlich aufzuräumen. Ein wahrer Kampf entbrennt. Programme werden umgebogen, Dinge vernichtet, neues erschaffen. Mit blechernen Kampfeffekten und Feuerwerk bleibt von der ursprünglichen Benutzeroberfläche des Billigprodukts nicht mehr viel übrig. Die Radio Sorceress hat sich häuslich eingerichtet, in einer japanischen Festung aus digitalem Zauber. Wallanlagen, Tore,, Bogenschützen und feurrote Drachen in der Luft sichern die Burg – Norges digitale Privatsphäre.

Norge und Zoé starren nur von außen auf den Bildschirm aber man kann ermessen, wie intensiv sich dieser digitale Burgenbau anfühlen musste, wenn man sich mit einem Datajack direkt in das Gerät einklinken würde. Wahrscheinlich könnte Norge in der virtuellen Welt wirklich dort wohnen und Gäste empfangen. Die Radio Sorceress verkündet stolz:

„Fertig! Aus dieser primitiven, öffentlichen Telefonzelle ist eine Burg geworden! Nur Du kannst eintreten, Norge. Sprich einfach mit mir, wenn Du etwas umgestalten oder mit anderen teilen willst!“

Die Radio Sorceress rammt ihren Stecken in den Boden und das Smartphone nimmt nun seine eigentliche Funktion wahr. Eine Verbindung zum Mobilfunknetz wird hergestellt. Die Radio Sorceress prüft die Integrität kritisch und gibt Kernfunktionen eingeschränkt frei. Norge erscheint im Telefon als gerüsteter Samurai. Alle Diener und Wachen organisieren sich um ihn.

„Norge, Matrixverbindung ist hergestellt, aber die Netzqualität ist sehr schlecht. Hier kannst Du nicht voll in den See aus Informationen eintauchen. Simsense und Trideo sind nicht möglich. Du hast nur einfachen Terminalzugang zum digitalen Universum. Aber es reicht für das Nötigste! Du kannst recherchieren, telefonieren und Daten versenden, aber ein staatlicher Anbieter kontrolliert derzeit die Dateninhalte. Pass auf, was Du sagst! Ich habe jedenfalls Deinen Standort gut verborgen, denn ich bin nicht die einzige Radio Sorceress hier in der Region. Gemeinsam sind wir stärker! Wenn Du mich mit Kontakten verbindest, die auch von einer meiner Schwestern beschützt werden, kann ich alle Datenübertragungen felsenfest verschlüsseln!“

Sie reckt den Stecken empor, der mit einem Blitzschlag zum Schwert wird. Damit scheint das Mobiltelefon eingerichtet. Norge benutzt das Gerät, zuerst etwas planlos, was er damit nun also anfangen soll. Recht schnell wird klar, dass sich alle Funktionen in der japanischen Festung verbergen und die Radio Sorceress als digitaler Avatar immer in der Nähe ist. Norge kann ziemlich direkt mit dem kleinen Helferlein sprechen. Die eigentliche Puppe scheint ein notwendiges Accessoire zu sein. Die Funktionen der Radio Sorceress sind scheinbar an die Nähe der Puppe gebunden. Zoé entschließt sich daraufhin, die kleine Miru vorerst im Rucksack den neugierigen Blicken zu entziehen. Norge kommt dann unkompliziert zum Kern der Sache:

„Em, kannst Du Verbindung mit Miru aufnehmen, wir brauchen ihre Hilfe?“

Die Radio Sorceress legt den Kopf schief und hält eine Hand offen in Norges Richtung, als wolle der Avatar ihn in das Telefon ziehen.

„Ich bin hier! Die Radio Sorceress hilft dir immer und überall!“

„Nein, em… Radio Sorceress. Ich meine die echte Miru. Die Miru, die auch Asiru und Kiru ist… oder war…“

Der Avatar bekommt riesige Augen voll ehrfürchrtigem Erstaunen:

„Oooooooh! Miru-Sensei! Ooohhh!“

Sie legt eine Faust in ihre andere Hand und neigt den Kopf.

„Miru-Sensei ist immer und überall mit mir und allen unseren anderen Schwestern. Wie kann ich Dir helfen, Norge?“

Zoé schaltet sich ein, als Norge etwas zögert. Wie genau sollte man das Anliegen nun berichten? Die Puppe kennt ja Lena nicht. Und selbst wenn Miru-Sensei selbst hier und jetzt neben ihnen auf der Bank sitzen würde, wie würde sie verstehen können? Zoé geht die Sache etwas vorsichtig an:

„Wir haben eine Freundin, Lena. Hmmm…. Lena Mason. Sie wurde entführt, Miru.“

Die Augen der Radio Sorceress blitzen zornig auf. Mit einer unwirschen Geste zieht sie drei mögliche Kontakte herbei, mit der man unmittelbar Hilfe erlangen könnte: Kriminaldirektion Ordnungsbüro Moskuwa, Mercenary Inc. Bereitschaftsdienst Downtown, PanicButton Online Operator. Zoé winkt eilig ab:

„Nein, nicht so. Es ist eine Weile her und wir brauchen Hinweise, wer sie entführt hat. Kannst Du uns Bildmaterial besorgen, oder den Ort rausfinden, wo Lena zuletzt gesehen wurde… oder wo sie jetzt ist?“

Die Radio Sorceress stellt den Zauberstab auf und nimmt eine neutrale, nachdenkliche Miene an. Hinter ihr versammeln sich einige Lakaien und Samurai. Sie sieht dann zu Norge und fragt, ob Zoés Angelegenheit auch seine sei. Er nickt. Nach einem Moment antwortet sie dann auf Zoés Anfrage:

„Freundin Zoé-san, ich kann Lena nicht finden, aber was passiert ist ist schrecklich. Ich benötige mehr Informationen. Nimm mich mit, damit ich mehr über sie und euch lernen kann. Wenn ich genug Informationen habe, dann werde ich mich melden, versprochen. Solange passe ich still auf und lerne.“

Die Radio Sorceress verneigt sich. Mehr war im Moment nicht zu erwarten. Norge beobachtet die umliegenden Trideoschirme und Werbetafeln, aber es erscheint kein Anzeichen, dass Miru sich manifestiert. Zoé schlägt vor, dass man vielleicht die Puppe mit an den kommenden Einsatzbesprechungen teilhaben lässt. Wenn es stimmt was sie sagt, müsste sie ja mehr und mehr über Lena lernen und vielleicht kommt sie dann irgendwann zu einem hilfreichen Ergebnis?