Clark Clash

Am frühen Morgen des 7. Oktober, gut zwölf Stunden nach dem Ende der Operation Genozid, kam es zu einer ersten Auswertung der Berichte der SFG 77 . Das Treffen fand im hell erleuchteten „AIM Operations Host Virtual Strategic Conference Room“ statt, kurz AOHVSCR. Mike Goodfellow, der den Betrieb dieses virtuellen Besprechungsraumes im wesentlichen zu garantieren hatte, nannte den Ort einfach „Cantina“. Man konnte nämlich als Icon, Trideobild oder leuchtende Audio-Verbindung einfach abhängen und wenn kein Offizier anwesend war, lief für gewöhnlich gute Musik oder sogar ein Blockbuster. Bei dieser Nachbesprechung lief also keine Musik. Und es wäre auch unangebracht gewesen.

Die geamte SFG 77 samt Stab war anwesend gewesen. Das Einsatzteam hatte berichtet. Insbesondere Lieutenant Régicide hatte die Ergebnisse vorgetragen. Jeder gab seinen Teil bei. Captain Uzun hörte sich alles aufmerksam an und gemeinsam betrachtete man einige Aufnahmen: der Panzer im dunklen Wasser, Leuchtspurgeschosse in der Nacht, die Befragung des Gefangenen Johann, wohlhabende Igbo in einem Café am Ostufer des Tawani-Sees, der Elefantenkadaver im Baum. Zunehmend rutsche Deputy Secretary Pria Lakshmi Clark, die Projektleiterin des Policy Boards, in ihrem virtuellen Sessel nervös herum. Sogar an ihrem Icon konnte man erkennen, dass sich mit jeder Minute des Berichts eine Anspannung aufbaute. Das wurde so penetrant, dass Captain Uzun irgendwann Miss Clark direkt fragte, ob sie mit etwas nicht einverstanden sei oder ob es einen anderen Grund gebe, warum sie jedem an der Besprechung den Eindruck vermittelte, am liebsten sofort auszuloggen. Ab diesem Zeitpunkt entgleiste die Besprechung. Clark und Uzun lieferten sich ein Wortgefecht, in dem der Captain das Team hauptsächlich in Schutz nahm und versuchte herauszufinden, warum die Deputy Secretary so aufgebracht und unbeherrscht war. Die anderen waren lediglich Zuschauer bei diesem Wortgefecht der zwei B3er Sicherheitsfreigaben. Man musste sich selbst einen Reim darauf machen.

Clark: „… Weil sie, Captain, einen Hermetiker als Teamleiter eingesetzt haben! Das ist der Grund!“

Uzun: „So meine ich das nicht, Miss Clark. Ich meine, warum sie sich an den arkanen Ausführungen stören!“

Clark: „Weil der Fokus falsch liegt, das ist doch völlig klar. Soll ich mal die Zeit ausmessen, die wir hier über die arkanen Seltsamheiten gesprochen haben? Es ist sicherlich – verstehen sie mich nicht falsch – gut und korrekt wenn man in Dahomey das arkane Treiben fest im Blick hat. Aber mein Eindruck ist hier, erstens, dass sich der Lieutenant viel zu sehr an diesen Stilblüten des Erwachten Afrika festgebissen hat. Ja, da gibt es halt denkende Pflanzen, Feenwesen und Totems. Natürlich, das ist Afrika. Aber ich sehe die Sache so, zweitens nämlich, dass hier eigentlich die Augen und Ohren genau da nicht waren, wo es interessant gewesen wäre. Und jetzt höre ich mir hier Sachen an, die solche Versäumnisse hinter bunten Geschichten verstecken sollen! Mit dem magischen Firlefanz ist mir einfach der falsche Fokus gesetzt worden.“

Uzun: „Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, wirklich, Miss Clark. Sie müssen auch bedenken, dass eine Abwesenheit arkaner Kompetenz uns ganz massiv Erkenntnisse vorenthalten hätte.“

Clark: „Ja was denn bitte?! Dass sich Dahomey mit der Erwachten Welt arrangiert hat ist bekannt. Und es ist auch bekannt, dass Politik, Wirtschaft und Sicherheitswesen in den Händen säkularer, profaner Männer und Frauen liegen, nicht bei der ländlichen Priesterschaft oder bei Geistern. Es gibt auch keinen Drachen in Dahomey. – Der Lieutenant hat doch die zentralen Fragen gar nicht konsequent verfolgen lassen, wahrscheinlich nicht einmal erkannt: Die Hinweise auf kriminelle Akteure, diese Leute im Straßencafé, der Gefangene Johann, zum Beispiel. Und dann der Hinweis auf Wahlmanipulation. Das hätten wir wissen sollen, Captain! Da liegt der Fokus und hier sehe ich Versäumnisse. Ich habe schon ganz am Anfang gesagt, dass man nicht den Fehler machen soll, sich von der bunten Vielfalt täuschen zu lassen. Genau wie in Sierra Leone oder Liberia sind es kriminelle Strukturen und politische Interessengruppen, die Ökonomie und Staatsverträge und damit unseren Absatzmarkt dominieren. Der Staudamm ist ein Problem der Wirtschaftserpressung und Elefanten spielen da keine Rolle!“

Die Seputy Secretary rauft sich die Haare.

Uzun: „Sie müssen etwas Geduld haben. Wir erschließen uns einen Zugang, das bedeutet nicht, dass wir alles unreflektiert als wichtig und wahr einstufen. Die Missionsparameter waren schwierig. Das war eine Krisenreaktion mit sportlicher Reaktionszeit. Ich finde ihre kritischen Korrekturen auf die Auswertung des Lieutenant gut und wichtig, aber das ist kein Grund hier und jetzt meine Leute so scharf anzugehen. Sergeant Breslin hat gute, sachliche – und nebenbei ganz profane – Berichte geliefert, ebenso die Einschätzung der militärischen und Sicherheitslage durch Sergeant Svenson und Boucard.“

Dem Captain gelingt es die Deputy Secretary etwas auf den Boden zurück zu holen. Sergeant Somborne, der als Videobild präsent ist, wirkt eingeschüchtert und schweigt. Er scheint die Clark besser zu kennen, als sich einzumischen.

Clark: „Sicher, sicher. Entschuldigen sie. Mir geht es nicht darum jemanden hier anzugreifen oder eine Schuld zuzuweisen. Ich möchte es aber noch einmal deutlich sagen: Der arkane Fokus ist meines Erachtens ein schwieriges Feld, das uns nicht weiterbringt. Außerdem scheint mir hier ein ganz unangemessenes Bild von Dahomey konstruiert zu werden, das gefährlich wird, wenn wir es in Zukunft nicht korrigieren. Dieses ganze Gerede über Konfliktlinien entlang Hausa, Igbo und Bariba ist ausgemachter Blödsinn. Das ist bestenfalls eine mediale Strategie und auch dann nicht wirklich tragfähig. Schlimmstenfalls sind es Lügen die uns in die falsche Richtung zerstreuen. Dahomey ist, und das wurde in hunderten Studien belegt, als eines der wenigen Ländern aus dem Teufelskreis dieser ethnischen Zuschreibungen ausgebrochen – schon vor Jahrzehnten. Der Einheitsgedanke des Landes baut auf kommerziellem, ökonomischem, kulturellem und wissenschaftlichem Erfolg. Die interviewten Menschen in den Videos haben gar keine Ahnung, was der Unterschied zwischen Hausa oder Igbo mal irgendwann war. Das ist bestenfalls eine Frage der Mode. Deswegen ist Ihuma auch nicht ‚in Hausa-Hand‘ gewesen, weil der Modus Operandi der Dahomey-Verwaltung ganz anders gestrickt ist. Ihren Leuten wurden da Geschichten aufgetischt. Das merke ich schon bei der Sprachfrage. Die Priesterin bei den Elefanten zum Beispiel. Haben sie den Goldschmuck gesehen? Die Frau war steinreich. Auch das Äußere, die Kleidung. Denken Sie wirklich, die stottert sich so mit Französisch ab? Französisch ist primäre Verwaltungssprache. Die Alphabetisierungsrate liegt bei 99.8%! Die Leute ‚wollten‘ nicht mit ihnen reden. Es gibt gar keine Erziehungspolitik für lokale Dialektsprachen mehr! Die haben das Team wie Touristen abblitzen lassen, wenn sie mich fragen.“

Uzun scheint etwas ratlos und überrumpelt von dieser Sichtweise.

Uzun: „Em, nun, sehen sie, das ist genau das, was wir brauchen. Also ich unterstreiche nochmal: das ist wichtig, dass wir Aufklärungsdaten prinzipiell in Frage stellen. Das ist Routine bei der Auswertung. Und wir haben mit Breslin einen investigativen Analysten explizit vor Ort sowie mit Specialist Lance und dem CCOM auch Leute im Stab, die hier Überprüfungen der Daten vornehmen.“

Clark: „Ja, sicher. Mir geht es nur darum, dass sie hier nicht blind in die erstbeste Geschichte reinstolpern, die sie fasziniert. Ihre Leute waren zwei Tage im Busch und ich lese hier so manchen Groschenroman aus den Daten und wie sie vorgtragen wurden. Fokussieren sie auf die Dinge, die unsere Zielvariablen wirklich betreffen! Wir sprechen uns dann am besten nochmal zur Neubewertung wenn sie die Ergebnisse neu geordnet haben. So kann ich das erstmal nicht akzeptieren.“

Die Deputy Secretary beendet die Verbindung und lässt das militärische Personal allein im virtuellen Raum zurück. Das Icon in Form des Captain Uzun atmet tief durch und blickt aus den Virtual Host in die digitale Szenerie von Moskuwa.

Uzun: „Nun, also, Lieutenant, Sergeants. Machen sie erstmal weiter und überlassen sie die Abstimmung zum Policy Board mir. Fokussieren sie die Auswertung auf die militärischen, sicherheitsrelevanten und politischen Belange, aber bleiben sie mal offen in der Perspektive. Ich kann diesen, em, Ausbruch der Secretary, sage ich mal, nicht richtig einschätzen. Ich bewerte die Sache jedenfalls als Erfolg und die Ergebnisse als zielführend. Aber wir müssen wachsam sein, dass wir in der Unübersichtlichkeit der Lage nicht ertrinken. Da hat Miss Clark schon recht.“

Nach dem Miss Clark den Chat verlassen hat, schaut alles angespannt Richtung Régicide, welcher während der gesamten Tirade nichts gesagt hat. Ob es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, das man Pria Clarks Hirn verteilt an ihrer Bürowand vorfindet, ein 0.5 inch großes Loch in ihrer Scheibe. Negative und Norge sind nicht beunruhigt. Sie kennen Bazut mittlerweile gut, genug um seine Stimmung einzuschätzen. Er wirkt eher amüsiert, auch wenn das recht überraschend ist. Überrascht sind dann auch alle anderen, als der neue Lt. lächelt und sich an Uzun wendet:
„Cpt. mit ihrer Erlaubnis werde ich die Unsachlichkeit von Mademoiselle Clark einfach ignorieren und mich auf die Fakten beschränken?…Danke!
Die konstruktive Kritik ist nicht von der Hand zu weisen, leider lässt sich das nun nicht mehr ändern, schlimmer noch, es ist in der Retrospektive nur wenig Adaption möglich, außer das man gleich völlig anders an die Sache heran hätte gehen können.
Ich denke das wir mit mehr Intel und Background auch effektiver mit der Situation umgehen lernen.

Dann wendet er sich zum Team:
„Die Bedingungen waren katastrophal, wir sind alle unverletzt und haben viele wichtige Informationen erhalten. Wenn es sonst niemand sagt, ich sage:
Ddas war ein verdammt gutes Stück arbeit, très bon!
Rompez!
Cpt, noch auf ein Wort?

Wenn alle anderen sich ausgeloggt haben, wendet sich Régicide wieder an Uzun:
„Diese Misson war von Anfang an ein Schuss ins Dunkle…und hier kommen wir zur ersten wichtigen Frage. Mademoiselle Clark scheint „Ganz oder gar nicht“ zu bevorzugen. Ist das auch ihrer Meinung? Mit Verlaub, Mademoiselle Clark ist mir nicht weisungsbefugt, nicht die Leiterin dieses Team, Operation oder irgend etwas anderem, sie ist der Intel-Hiwi. Deshalb möchte ich für die nächste Mission eine klare Vorgabe, was ich tun soll oder sich die Firma wünscht. Dem entsprechend werde ich meine nächsten Einsätze planen, aber einen Schuss in die Dunkelheit kommt im Moment für mich nicht mehr in Frage. Ohne Intel, Ausrüstung und Trainingszeit gehe ich mit meinen Team in Zukunft nicht mal mehr Kaffee holen!
Oder wir kriegen weiterhin freie Hand, dann brauche ich so etwas wie eben aber nicht mehr!
Als zweites könnte sie Mademoiselle Clark bitte mitteilen das…aber eigentlich kann ich das auch selber tun, dass ich mehr Hintergrundinformationen zu Land und Leuten brauche. Ich warte auch immer noch auf Sprachchips der lokalen Gruppen…
Letztlich“
An dieser Stelle wird er ernst:
„Teilen sie Mademoiselle Clark mit, das sie nie wieder, ich wiederhole: nie wieder, beleidigende Aussagen über mein Team vor meinem Team tätigen wird! Mir kann sie sagen, was sie will, das ist mein Job. Das Team muss sich so was nicht anhören, das ist ebenfalls mein Job. NIE WIEDER!“
Er entspannt sich:
„Besten Dank für ihrer Unterstützung Cpt., ich warte auf ihr Statusupdate“
Salutiert…und wartet…

Der Captain salutiert:
„Damit wäre das hier dann vorrüber. Wenn wir eine Neubewertung der Lage durch den Stab fertig haben, melden wir uns. Rechnen sie damit, dass das um 1800 am heutigen Tag der Fall sein wird. Dann können sie für sich die nächsten Schritte planen und entscheiden, wo sich für sie vor Ort die besten Fenster öffnen. Das Team soll sich heute im HQ bereit halten für Nachfragen. Uzun Ende und Aus. – AIM true und einen guten Start weiterhin dort in Moskuwa.“