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Neuzuweisung der SFG 77

An:
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0.9.006604X7
0.9.057646W4
0.9.044013Z5

Nachrichtlich an:
Central Command
Services Dpt. Section A (London)
Joint Task Force „Tradestop“, Command Authority

Auf Grundlage des CCOM-Beschlusses 7252/74 vom 21. Oktober 2074 wird die Einheit SFG 77 aus der 1. AEF ausgegliedert und ab sofort dem Services Department Section A: Operations, unterstellt. Neuer formaler Dienstort ist London, UK.

Dienstauftrag: Kooperation mit den Vertragspartnern YST – Yutani Space Technologies, Tomorrow Plant Inc. und Asakaturo Research zur Vorbereitung und Durchführung der Expedition Schneeblind.

Als Sicherheitsfreigabe wird im Zusammenhang mit Expedition Schneeblind für das oben adressierte Personal erteilt: B3

Personal: Kommandeur der SFG 77 ist Brigadegeneral Timotheus Master, Services Section A: Operations, London. Ihre Ansprechpartnerin für Personal-, Finanz-, Vertragsfragen und Logistik ist Frau Veronica El-Hamrad. Interessenvertreter der Vertragspartner ist Customer Agent der Yutani Corporation Ako Tameo (YC). Wissenschaftliche Leitung hat Frau Hitashi Sani (YC) inne. Als Demokratische Beobachter sind derzeit nominiert: Hoshin Kenjiro (JIS), Mandala Isemi (AU), Wasili Nowikow (RF). Eine Bestätigung durch den Ausschuss für Demokratische Beobachter in bewaffneten Konflikten der Vereinten Nationen (UNCDOAC) steht aus.

Weitere Details erfolgen mit dem Mobilisierungsbefehl und der Verlegung zum Einsatzort zur Expeditionsvorbereitung.

2074-10-25

Sonnensturm R8

Channel 9 World News. – 2074-10-14

Vier Tage sind seit dem verheerenden Sonnensturmereignis vergangen. In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 2074 hatte ein solarer Magnetsturm bisher ungekannter Ausmaße zuerst die tagseitige Erdhalbkugel mit einem geomagnetischem Sturm überzogen, in den Folgetagen wurde deutlich, dass auch die Schattenseite der Erde nicht verschont bleiben würde. Wir ziehen Resümee.

Jenseits der Skala

Die International Oceanic and Atmospheric Administration (IOAA) erfasste Sonnenstürme mit geomagnetischen Auswirkungen auf die Erde bisher auf fünf Skalenstufen, G1 bis G5. Mit G5 wurden dabei geomagnetische Stürme mit „extremen“ Folgen theoretisch und aufgrund von erdgeschichtlichen Befunden beschrieben:

G5: Weitreichender Ausfall der Stromversorgung und des energetischen Schutzsystems. Verbreitete Blackouts und Zusammenbruch überregionaler und trans-nationaler Energieversorgung. Schaden an Umspannwerken und Kraftwerken. Zerstörung von ungeschützten Elektrokleingeräten, Autobatterien und Schaltanlagen. – Stromleiter können kurzzeitig Spitzenströme von mehreren 100 Ampere verzeichnen. Hochfrequente Funksender und -empfänger sind weiträumig für mehrere Tage nicht verwendbar. Niederfrequenzfunk für mehrere Stunden unbrauchbar. Ausfälle von Satellitennavigation und Satellitenfunk für mehrere Stunden. – Sichtbarkeit von Aurora Borealis („Nordlichter“) bis zum 40. Breitengrad (Südspanien, Ankara, Süditalien).

Diese ohnehin bereits eher theoretisch fundierten Schadensmerkmale wurden nun im Laufe der letzten vier Tage revidiert und ausgeweitet, so dass die astronautische und geologische Fachwelt von einem R8-Ereignis spricht. Die Schadensmerkmale werden gegenwärtig noch täglich erweitert und präzisiert.

London, Flugzeugabsturz Downtown und Ausschreitungen

Größtes Unglück der Luftfahrtgeschichte

Die Zahlen der Todesopfer durch Flugzeugabstürze im Frühmorgen des 9. Oktober 2074 (UTC+0) werden beständig nach oben korrigiert. Die Internationale Luftfahrtbehörde hat derzeit 1.302 Unglücke in Folge des R8-Ereignisses registriert. Die Zahl der Vermissten und Todesopfer wird auf über 100.000 Metamenschen geschätzt (ohne bodennahen Flugverkehr).

Betroffen waren vor allem elektrobetriebene Flugzeuge, Helikopter und Vektorschubfahrzeuge sowie kleinere Linienmaschinen, Privatjets und einige der größeren Luftverkehrsflotten für den internationalen Luftverkehr, deren Maschinen nicht mit ausreichenden redundanten Systemen und elektromagnetischen Abschirmungen versehen waren.

Nur in wenigen Fällen gelangen den Pilotinnen und Piloten Notlandungen. Durch den häufigen Totalausfall von Bordelektroniken werden die meisten modernen Fluggeräte nicht mehr manövrierfähig. Dennoch gab es auch Berichte von kleineren und größeren Wundern, wie etwa der Wasserlandung eines Suborbitalflugs, der sich im Landeanflug auf Taipeh befand. Alle 680 Passagiere überlebten unverletzt.

Häuserkampf in Haifa

Urbane Gewalt

In allen Metropolen mit mehr als 5 Millionen Einwohnern kam es zu nachhaltigen Stromausfällen und zum Versagen kritischer Infrastrukturen. Die ohnehin bereits angespannten Lagen in den großen Metroplexen der Welt entlud sich in raschen und massiven Wellen von Plünderungen, Bürgeraufständen und entfesselter Kriminalität.

Die Top 10 der modernsten Metroplexe und Arkologien verkrafteten diese kritischen Stunden erstaunlisch gut. Vielerorts waren Kapazitäten vorhanden, die ausgefallenen Systeme rasch zu ersetzen oder auf Redundanzen auszuweichen. Hierzu zählen unter anderem Mexiko City, Neo-Tokyo, Seattle, Denver und Taipeh. Dennoch werden Wochen, wenn nicht gar Monate, vergehen, den militärischen und zivilen Frieden wieder auf einem Niveau von vor dem R8-Ereignis herzustellen.

Aus abgelegenen Regionen der Welt erreichen uns vielfach noch gar keine verlässlichen Nachrichten, so beispielsweise aus kleineren Arkologien des nördlichen Pazifikraums. Aber auch Städte wie Berlin, Aachen, London oder Washington versinken weiterhin in Anarchie. Alle Großkonzerne mit A+ Einstufung haben den Krisennotstand ausgerufen und ziehen sämtliche konzerneigenen Sicherheitskräfte auf ihr Konzernterritorium zurück. Nur von wenigen Ausnahmen wird berichtet, etwa in Denver oder Neo-Tokyo.

Im Westjordanland wurde am Folgetag des Ereignisses mit einer Luft- und Bodenoffensive seitens der arabischen Anrainer begonnen. Isreal befindet sich in einem Verteidigungskrieg. Auch innerhalb des Territoriums Deutscher Staaten gab es Grenzübertritte öffentlicher und privater Sicherheitsdienstleister sowie die einseitige Besetzung kritischer Infrastruktur. Rund um die Vertragsstadt Denver wurden Truppen aller sechs Anrainer zusammengezogen.

Denver Datahaven, Unknown SAN

Ein dritter Crash?

Auch die letzten Beetle-Heads und Matrix-Zombies haben mittlerweile das Ereignis zu spüren bekommen. Während sich die CEO der Yutani Corporation und der CEO von Novatech positiv gestimmt gaben und eine baldige Rekonstruktion aller Host-Strukturen ankündigten (konzernintern natürlich), wurden viele Unternehmen und Staaten, aber auch Privatmenschen, stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Datenverluste sind, trotz häufiger Redundanzen und der Dezentralität des Matrix-Netzes, noch gar nicht abzuschätzen.

Besonders brisant ist die Lage in der Vertragsstadt Denver, CO, wo sich der weltweit größte, illegale Datahaven befindet. Dort wurden über Jahrzehnte illegale Kopien von Datenbeständen aus allen Ecken der Welt und aus allen Lebensbereichen gesammelt, archiviert, und illegal im sogenannten „Shadowland“ vermarktet oder verschlossen gehalten. Autonome Akteure des Datahaven haben nun damit begonnen Unternehmen weltweit mit Erpressungen unter Druck zu setzen – im Datahaven finden sich nun ironischerweise oftmals die noch einzig verbliebenen, unzerstörten Datanbestände vieler Konzerne und staatlichen Einrichtungen.

Für den Normalverbraucher blieb der Jubel jedoch aus. Es ist absehbar, dass sich die Finanzwelt von den Ereignissen erholen wird – abgesehen vom spekulativen Finanzmarkt, dessen Fortgang, wie immer, höchst ungewiss ist.

Trondheim, künstlerische Interpretation eines Ortsansässigen

Arkane Manifestationen

Die Erwachte Welt blieb nicht verschont. Hochmoderne Staaten, wie Japan oder Dahomey, scheinen aus technologischer Sicht das R8-Ereignis gut überstanden zu haben. Grüne Energien, hochmoderne Leitertechnik und Redundanzsysteme ersparten ihnen einen monatelangen Wiederaufbau ihrer Infrastrukturen, doch auf der magischen Seite der Welt, sieht dies womöglich anders aus.

Norwegens NTNMU sowie die Universität von Kairo berichteten als erstes über schwerwiegende Veränderungen. So zerstörten riesenhafte Manifestationen im Hinterland Norwegens offenbar Hochspannungsleitungen und bewegten sich auf die besiedelte Küstenregion zu. Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich dabei um aufgeweckte, sogenannte „Große Wanderer“ handeln könne, oder um riesenhafte Troll-Geister. Die NTNMU ermittelt. Auch wird darüber spekuliert, ob das Sinken der CASS Shigeruu als Vorbote des R8-Ereignisses gewertet werden könnte.

Aus Kairo wurde zuerst von schweren Erdbeben berichtet, die große Teile des Stadtgebiets in die Abgründe tiefer Schluchten gerissen hätten. Mittlerweile gilt als gesichert, dass es sich bei den Bruchlinien im Boden um die Verlaufswege alter Gräber- und Palastanlagen handelte; so etwa der Pharaonenweg vom Königspalast der IV. Dynastie zur Grabbaustelle des Cheops und von dort zur 20 Kilometer südlich gelegenen Grabanlage Saqqara. Das R8-Ereignis hat scheinbar antike Ley-Linien und das arkane Potential von Architekturmagie neu belebt. Ähnliche Phänomene werden aus dem Dschungel Zentralamerikas und Beijing berichtet. Das Arkane Labyrinth der Verbotenen Stadt habe „die Grenzen zwischen der arkanen und weltlichen Repräsentation des Kaisertums verwischt.“

Illegale Straßenklinik in Denver

SURGE

Während die Großereignisse die Welt erschüttern und in Atem halten, sickern immer mehr auch Folgen im Kleinen durch. An vielen Orten der Welt werden Metamenschen in Krankenstationen eingewiesen, die körperliche aber auch geistige Veränderungen erfahren haben. Die Biomedizin spricht von „Spontaner rezessiv-genetischer Expression“ (Sudden Recessive Genetic Expression, SURGE). Hörner, Fell, Farben, Klauen, Schwänze – wie weit die Palette der Veränderungen am metamenschlichen Körper reicht, ist noch nicht absehbar. Es kam bereits, wie nach den Goblinisierungswellen, zu Internierungen, Lagerbildung und gezielten Falschinformationen sowie dem „Verschwindenlassen“ von Opfern des SURGE-Effekts.

Bisher gab es jedoch keine Berichte einer tiefergehenden, genetischen Goblinisierungswelle.

Der Blick nach vorn

Die Sonne ist Teil allen Lebens auf unserer Erde. Sie war es von Anfang an. Sie ist die ultimative Bedingung aller lebenden Existenz in unserem Sternensystem. Ihre kulturelle, religiöse, arkane Bedeutung ist enorm und vielleicht viel mächtiger, als wir bisher dachten. Als eine fundamentale Bedingung unserer Existenz kann man sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Das ist in gewisser Hinsicht beruhigend: unsere Möglichkeiten sind trotz aller Errungenschaften begrenzt.

Drei Großkonzerne von Weltrang haben derzeit die Möglichkeiten und den Willen, die technische Sonnenbeobachtung wieder flächendeckend und stabil herzustellen und aufgrund der gemachten Erfahrungen zu verbessern und zu intensivieren. Dies sind Ares Macrotechnologies, Mitsuhama Computer Technologies sowie YSM – Advanced Space Mining, eine Tochter der Yutani Corporation.

Letztere haben angekündigt innerhalb der nächsten zwei Jahre einhundert Sonden auf die Alfvén-Oberfläche um die Sonne zu platzieren, die sich in einer Entfernung von etwa 18 Sonnenradien zum Mittelpunkt der Sonne befindet.

Zum Zeitpunkt des R8-Ereignisses betrug die Frühwarnzeit nach Angaben der großen astronomischen Forschungsinstitute im Idealfall 18 Minuten. Die ersten Warnungen großer Konzerne an ihre Luftflotten auf interkontinentalen Strecken wurden etwa 15 Minuten vor dem Ereignis ausgegeben. Etwa 95% erreichte eine Warnung zu spät.

Was bedeuten diese Zahlen für unsere Zukunft? Haben wir nun wieder 5 Millionen Jahre Zeit, bis zum nächsten R8-Ereignis, wie es uns die Statistiker beschwichtigend erklären wollen?

Nachruf auf Katsuo Uzun

Es ist ein verregneter Septembertag an der Atlantikküste. Weiße Uniformen der Urnenträger und Salutschützen stehen im harten Kontrast zum Grau und Schwarz ringsum. Es ist der Hauptfriedhof der Association Internationale des Mercenaires in Finistère.

Nach japanischer Tradition wird die Urne des Katsuo Uzun in weiß gekleidet in die Steingrube hinabgesenkt. Während der Regen leise auf Schirme und Mützen prasselt hält vor gut zweihundert Anwesenden Jacqueline Walters, CEO der Association, den Nachruf:

„Major Katsuo Uzun hat in nur acht Jahren Dienstzeit an einer Sache niemals einen Zweifel gelassen: an seinem festen Glauben an die Ideale unserer Association. Er hat sie wie kaum ein anderer mit tiefem Ernst und mit Hingabe gelebt.“

Jacqueline Walters hebt den Blick kurz in die Ferne, als suche sie ein Lichtblick am wolkenverhangenen Himmel. Oder einen fernen Gedanken.

„Ich traf Katsuo Uzun das erste mal auf der Shigeruu, 2070. Es war eine zufällige Begegnung. Aber dennoch eine, die uns in Freundschaft rasch verband. Er hatte eine offenherzige Natur, die trotz des ernsten Geschäfts, der Hierarchie und der Professionalität unserer Arbeit doch auch immer die Menschen sah, mit denen er sich umgab.“

Eine Windbö reisst plötzlich am Regenschirm, der von einem General des Central Command über Jacqueline Walters gehalten wird. Der Schirm gibt nach, der General kämpft mit dem störrischen Stecken und winkt nach einem Ersatz. Jacqueline Walters spricht im Regen unbekümmert weiter:

„Es ist wie ein unlösbares Rätsel für uns, weshalb Katsuo Uzun heute zu Grabe getragen wird, wenige Tage, nachdem auch die CASS Shigeruu ihren Frieden fand. Ich sehe darin eine Erinnerung daran, das nichts für Dauer ist.“

„Nur wenige hundert Meter trennten den Ort des Anschlags von meinem eigenen Büro. Viele von euch waren viel näher, als Major Katsuo Uzun starb. Er starb durch einen Akt des Hinterhalts.“

Sie macht eine Pause und sieht über die formlosen Gesichter der Anwesenden sowie auch in die Kamera.

„In der jungen Geschichte von AIM, die Major Katsuo Uzun fast die gesamte Zeit begleitet hat, hat es nicht solch eine Tat auf unserem Staatsgrund oder in Einrichtungen in Übersee gegeben. Und ich werde das nicht hinnehmen.“

Jacqueline Walters Gesichtsausdruck nimmt ungewohnt harte Züge an, bei der Frau, die eigentlich immer ein Lächeln und freundliche Worte findet.

„Eine bedingungslose Aufklärung der Hintergründe, der Schuldfrage und der Konsequenzen wird bereits vorangetrieben während wir heute seiner gedenken und uns verabschieden. Das sind wir Major Katsuo Uzun schuldig. Und wer ihn kannte der weiß, dass die Gründe für seinen Tod nur in seinem Dienst und seiner Arbeit für AIM gefunden werden können.“

Der General bekommt endlich einen neuen Schirm gereicht, ist jedoch geistesgegenwärtig genug den Moment nicht weiter zu stören. Er tritt vom Rednerpodest zurück.

„Major Katsuo Uzun war unter den ersten zehn Abgängern der AIM Senior Offricer School in 2066. Er ist der erste Abgänger dieser Schule überhaupt, den wir zu Grabe tragen müssen. Er hat sich für eine offene Reform vieler Doktrinen eingesetzt. Er hatte eine Vision, die ich mit ihm teile. Sie wird weiterleben. Denn mit Vision, Loyalität und Befehlstreue begleitete er AIM durch drei große Kampagnen und hat hervorragende Soldatinnen und Soldaten ausgebildet.“

Eine erneute Pause.

„Katsuo Uzun verblieb kinderlos und ohne Angehörige und lässt uns heute als seine Familie fassungslos und trauernd zurück.“

Jacqueline Walters tritt vom Rednerpult zurück und reiht sich in die Trauernden in Zivil ein. Salutschüsse hallen über den Strand von Finistère hinaus auf die See, wo die Sonne das Meer in der Ferne endlich küsst.

CASS Shigeruu gesunken

Channel 9 World News. – 2074-09-03

In der vergangenen Nacht ist der seit 2040 im Nordmeer verankerte Flugzeugträger CASS Shigeruu gesunken. Das Kriegsschiff war durch eine unbekannte magische Anomalie an einem festen Punkt unbeweglich gehalten worden.

Der sterbende Gigant, der seit über dreißig Jahren dem Verfall größtenteils anheim gegeben wurde, liegt nun in 5000 Metern Tiefe.

Corre Sverdrup, Projektleiter der Shigeruu Operation für NTNU und AIM in Trondheim:

„Die Gründe für das plötzliche und unvorhersehbare Sinken der Shigeruu sind noch nicht abschließend verstanden. Das hervorragend geschulte, wissenschaftliche und militärische Personal an Bord konnte jedoch die Lage beherrschen und geordnet evakuieren, bevor es zu größeren Velrusten kam. Insgesamt waren wir auf solch eine Situation vorbereitet, denn die Shigeruu war von Anfang an ein großes, undurchschautes Mysterium. Eine große Gelegenheit! Und auch eine riskante Sache. Das war immer klar.“

Ursprünglich zeigte die CASS Shigeruu als ein Kriegsschiff der Confederation of American States Präsenz in den Euro Wars und unterstützte indirekt die russische Position, die auf eine Beendigung der Kriegshandlungen hinstrebte. Auf dem Weg in die Karasee fixierte eine magische Kraft das Schiff auf offener See und raubte den CAS somit einen zentralen geostrategischen Spielstein.

In den Folgejahren nutzten sowohl die Russische Föderation als auch die Skandinavische Union die Shigeruu als Basislager. Dem folgten multinationale Forschungsstationen nach, die dem arkanen Phänomen auf die Spur kommen wollten.

Die Norwegian University of Science and Technology (NTNU) übernahm nach anfänglicher Euphorie über die möglichen, magischen Erkenntnisse, die Langzeitstudien auf der Shigeruu. Gesichert und betrieben wurde die Anlage zuletzt durch die Association Internationale des Mercenaires (AIM).

Anonyme Augenzeugen berichten von einem Feuer an Bord, das höchstwahrscheinlich auf einen magischen Ursprung zurückzuführen sei und zum Untergang der Shigeruu führte. Hierzu Prof. Dr. Sigrid Johansdottir, wissenschaftliche Leiterin:

„Vierunddreißig Jahre war die arkane Situation auf der Shigeruu stabil und gefahrenfrei. Die technischen Anlagen vor Ort waren nach Versuchen mit einer Erneuerung der Maschinenanlage und der Energiegewinnung extrem klein dimensioniert, um jegliche ungeplante Interaktion mit der arkanen Anomalie zu vermeiden. Insofern schließe ich aus, dass ihr Untergang auf technische Ursachen zurückzuführen ist. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Shigeruu eine arkane Anomalie war. Der Grund für die Stabilisierung des Kriegsschiffes konnte in vierunddreißig Jahren nicht klar entschlüsselt werden. Dennoch waren die Studien ertragreich. Nun hat uns die sechste Welt einmal mehr gezeigt, dass wir nicht alle Vorgänge, die uns umgeben, mit rationalen und technologischen Perspektiven begreifen und durchdringen können. Ich möchte mein tiefes Mitgefühl für die Opfer an Bord zum Ausdruck bringen, und meinen großen Respekt für die mutige und ausdauernde Forschungsarbeit, die auf der CASS Shigeruu geleistet wurde.“

Die Forschungen auf der CASS Shigeruu hatten insbesondere zu Erkenntnissen der Metamagie elementarer Ebenen beigetragen. Bis zuletzt war die hermetische oder spirituelle Natur der Anomalie aber umstritten geblieben. Versuche zur Interaktion von beiden großen arkanen Traditionen an Bord der Shigeruu hatten weltweit für Anerkennung gesorgt.

Laut der Seefahrtbehörde der Skandinavischen Union und AIM wird eine Bergung der CASS Shigeruu derzeit als nicht wirtschaftlich erachtet. Von privaten Initiativen zur Bergung wird aus Sicherheitsgründen stark abgeraten. Kleinere, spezialisierte Unternehmen haben jedoch ein Interesse an einer kommerziellen Bergung von Schrottwerten und der Vermarktung des denkwürdigen Ereignisses angekündigt. Der Erwerb von Filmrechten wird unbestätigten Meldungen zu Folge bereits verhandelt.

Technologieskeptische Gruppierungen sehen den Untergang der Shigeruu als eine positive Wendung und sprechen von einem Sieg des Unverstandenen über den Beherrschungsfetisch der Konzernwelt.

Die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) hat eine Untersuchungskommission zu den Ereignissen eingefordert, um eventuelles Fehlverhalten der Betreiber sowie umweltschädliche Folgen zu untersuchen. Dies wurde seitens der NTNU und AIM abgelehnt. Weiterhin wird kritisiert, dass unabhängigen Medien kein Zugang zu Überlebenden der Havarie gewährt wird und deren Verbleib sowie gesundheitlicher Zustand unklar ist.

Norge, arm dran, Arm ab

Weißes Licht, Meerblick, verschwommene Erinnerungen und ein Trollkrankenpfleger. Ab und an Schmerzen, dann eine Hand an einem Tropf. Für einige Zeit bestimmen diese Eindrücke Norges Weg zurück aus dem erlittenen Trauma.

Bereits einen Tag nach der Havarie der Shigeruu wurde Norge als erster der SFG 77 nach Finistère geflogen. Sein verletzter Arm blieb jedoch zurück. Kurz darauf hatte sich der Robustus soweit erholt, dass er wieder sprechen und klar denken konnte. Man erklärte ihm seine Lage.

Der zweite Arm war zerstört und amputiert worden. Alles was Norge blieb, war sein guter Cyberarm. Doch es gab einen Lichtblick in dieser Misere. Ein Oberarzt kam eines Tages zu Norge und gratulierte ihm, dass er sich am Anfang des Jahres dazu bereit erklärt hatte, an dem experimentellen Programm Future Soldier 2080 teilzunehmen. Organe und Gliedmaßen mit Norges genetischem Abdruck wurden seit dem 17 Januar 2074 in den Laboratorien von Asakaturo Research nachgezüchtet, und das mit einigem Erfolg! Natürlich konnte sich Norge nicht daran erinnern, dazu seine Zustimmung gegeben zu haben. Aber es war nicht schwer zu begreifen, dass das eng mit seinem unbekannten Biomonitor nahe am Herzen zu tun haben musste.

Die Tatsache, dass ein Arm mit genetischer Passung bereits auf Norge wartete, nahm einigen Druck aus der Situation. Aber da gab es natürlich noch ein paar andere Themen zu verdauen: Was war auf der Shigeruu passiert? Was hatte das zu bedeuten? Was war mit Yui passiert? Was fürde das alles für die SFG 77 bedeuten und – vor allem: Was würde Norge erzählen, wenn der Major ihn nach den Geschehnissen befragen würde?

Auch wenn offiziell ein Besuchsverbot für Norge bestand, konnte die SFG 77 aufgrund ihrer Beziehungen und Bekanntheit durchaus zu Norge gelangen und mit ihm sprechen, auch solange er noch auf der sicherheitsbeschränkten Krankenstation lag. Bisher hatte niemand Norge besucht. Weder phyisch, noch über die Matrix. Keine Miru, keine Yui, keine Hitashi Sani, keine SFG 77, keine Stabsoffiziere und auch keine Kara Lance. Dafür hatte er einen wundervollen Ausblick über die Küstenbefestigung des AIM-Hauptquartiers und Zeit zum Nachdenken.

Save our Souls

Ganze eineinhalb Stunden harrt die SFG 77 in einem kleinen Rettungsboot der ehemaligen CASS Shigeruu aus. Norge hängt am Tropf, ist bewusstlos, sein Arm zerschmettert von der Granatenexplosion auf dem Kommandodeck des Flugzeugträgers. Die Bilder sind noch lebhaft präsent in allen Köpfen.

Schwarz gekleidete Gestalten im vollen ABC-Schutz und der Uniformierung einer veralteten CAS-Marine. Männer und Frauen in schwarzen Trockenanzügen, mit Tauchgerät und Harpunen. Darunter eine wohlbekannte, blauäugige Elfe, jung wie eh und je. Dazwischen die Besatzung von AIM, die SFG 77 und überforderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Trondheim und aller Welt. Dann Feuer, Explosionen und Eis. Positive, der auf seine ehemalige Geliebte zweimal schießt und verfehlt. Régicide im Krisenmodus. Zoés lodernde Augen. Und natürlich ein Gigant aus Stahl, der letztlich flammend im Meer versinkt.

Als ein Rettungshelikopter die Unglücksstelle erreicht, hat sich der Atem der SFG 77 bereits erschöpft. Es wurde so einiges besprochen, verworfen, konspiriert und vereinbart. Doch die Folgen dieser Katastrophe waren zu diesem Zeitpunkt für die fünf Kameradinnen und Kameraden noch nicht absehbar.

Als sich das Bergungsteam einer privaten, norwegischen Küstenwache über dem Rettungsbot der SFG 77 abseilt und ihre Köpfe durch die Einstiegsluke steckt, lautet die erste Frage:

„Svenson? Ist hier Harald Svenson?“

Ja, die Ersthelfer vor Ort sind nur aus einem Grund hier: Norge bergen, dessen technisches Interieur ein Notsignal weit hinauf in die Sphären der Satelitten gesendet hatte, just als er seinen Arm und sein Bewusstsein verlor. Von AIM, der Shigeruu oder der SFG 77 wissen diese Leute nichts. Glücklicherweise wird den unerschrockenen Männern und Frauen der Polarmeerrettung schnell das Ausmaß der Lage vor Ort klar. Norge, der mit am schwersten verletzt ist, wird als erster evakuiert, aber das Bergungsteam lässt sich zuvor auf den anderen Rettungsinseln absetzen, um erste Hilfe zu leisten. Gut 30 Minuten später trifft die norwegische Marine ein und die Evakuierung dieses entlegenen Fleckens Polarmeer nimmt volle Fahrt auf.

Von hoch oben, aus den Sichtfenstern der Schwenkflügler betrachtet, wird das volle Ausmaß klar: die Shigeruu ist nicht mehr. Das Schicksal ist gnädig und schenkt ein spiegelglattes Meer, als wäre nichts geschehen.

Entgegen den Befürchtungen der erschöpften SFG 77 wird man nicht sofort getrennt und verhört, sondern als Schiffbrüchige nach Trondheim gebracht, wo alle eine angemessene Versorgung erhalten. Major Uzun ist alsbald persönlich vor Ort, befragt die SFG 77, sorgt sich um die Einsatzbereitschaft, hat Fragen über Fragen. Dann geht es alsbald für alle weiter nach Finistère, sobald es die Gesundheit zulässt. Raus, aus fremdem Hoheitsgebiet, für alle Fälle.

Noch im Rückflug macht eine Tonaufnahme der Seerettung die Runde, die mit Dronen im Wasser nach Überlebenden sucht. Aus den Tiefen des Ozeans klingt ein schwaches Totenlied herauf, das ein sterbendes Save Our Souls begleitet; der Marsch der Shigeruu, auf ihren letzten 5000 Metern.

Partisanen von Armur

02. September 2074

Verhöre und Auswertungen

Die beiden Operationen Himba und Sommerregen hatten nicht nur eine Fülle an Daten für die Aufklärungsabteilung der Task Force Tradestop geliefert, sondern auch zwei Gefangene.

Der eine, Esun, hatte sich als Schlangenschamane im Dienst der Agooji entpuppt. Er wurde in Alt-Folonara von Zoés Doberman-Drone niedergeschossen, als er sich mit Positive ein Duell liefern wollte. Der andere, Noyan, wurde in der Villa des Zweigstellenleiters von DeBeers Omnitech Nigeria IV überwältigt. Offenkundig folgt auch er einer schamanistischen Tradition, die insbesondere durch die Vermischung von Eis und Feuer im Feld aufgefallen war.

Die technische Auswertung von Operation Sommerregen hatte einen umfangreichenh Katalog mit Personendaten zutage gebracht. Es war ein Durchlaufregister für mehrere Jage Verschleppung und Sklavenhandel über eine Route, die man in der Task Force Tradestop nun als die Folonara-Volgograd-Route bezeichnet. Hier liegen nun Namen, Bildmaterial und auch manche biometrischen Daten zu den Opfern vor. Darunter auch der Eintrag zu Andrea Purgess (alias Lena Mason). Mike Goodfewllow hatte dieses Detail an Zoé geleakt, zusammen mit dem Hinweis, dass Lena am 1. November 2073 vor Alt-Folonara auf ein Schiff der Greek F-Line namens Epheseus verladen worden war. Zielhafen dieses Schiffes war Volgograd gewesen. Diesen Weg durch den Bosporus hatten viele Verschleppte angetreten.

Die technische Auswertung von Operation Himba war magerer für die Task Force ausgefallen. Zwar reichten die Informationen, um eine Klage und einen Enteignungsprozess gegen DeBeers Omnitech anzustrengen, aber über die Frage des Menschenhandels gab es keine deutlichen Spuren. Hier waren der Gefangene Esun und die befreite Himba Auna wesentlich bessere Quellen.

Zu dem verstorbenen Ethan McFarlow indes, an dem Positive natürlich ein besonderes Interesse hatte, konnte zumindest herausgefunden werden, dass er als Vermittler zwischen DeBeers und dem seltsamen Schamanen Noyan aufgetreten war. Hierbei ging es wohl um einen Abkauf von Himba, doch die Daten sind dünn. Deutlicher wird, dass Ethan McFarlow allerdings nach Negatives Verschwinden nach Afrika 2068 einen Patent-Coup begangen hatte und viele Erkenntnisse aus der gemeinsamen Arbeit mit Negative für eine neue Unternehmensgründung genutzt hatte. Man könnte von Patentraub an Negative sprechen. Das wirft weitere Fragen auf. Doch inwieweit McFarlow in Negatives Schicksal während seiner zwei „dunklen Jahre“ verwickelt gewesen war, hat er mit ins Grab genommen.

Was man Ethan McFarlow mittlerweile jedoch vorhalten kann ist, dass er sowohl Technologie als auch Menschen in das Erwachte Yakut hat schmuggeln lassen (siehe Aussagen von Noyan weiter unten). Die Patente zur Prospektion von erwachtem Mineral (v.a. Orichalkum) hat McFarlow mit Sicherheit in den Minen von Nigeria zu geld gemacht. Möglicherweise aber auch durch einen Verkauf an unbekannte Abnehmer im Gebiet des Erwachten Yakut.

Esun

Esun

Der gefangene Esun aus der Operation Sommerregen ist ein stämmiger Schwarzafrikaner, nach eigenen Auskünften aus Sierra Leone stammend. Er ist ein Schamane eines Schlangen-Totems und er muss als Mitglied der Agooji angesehen werden. Es ist das erste Mal, dass AIM ein Mitglied der Agooji lebend gefangen nehmen konnte.

Esun hat bisher eingestanden, für die Agooji den Schwarzmarkthandel mit der arkanen Droge „Ghost“ zu unterstützen. Hierzu werden Pflanzen aus dem erwachten Dschungel illegal ausgeführt. Er inszeniert sich als kleiner Aufseher für die Interessen der Agooji vor Ort, also in Süditalien. Dort ist ein wesentlicher Umschlagplatz für Drogen nach Europa.

Über Menschenhandel hat Esun bisher nichts verlauten lassen. Er wies darauf hin, dass „die Italiener und Russen in Alt-Folonara Menschen verschicken“, aber von den genauen Hintergründen, will er nichts wissen.

Befragt auf die Umstände seiner Gefangennahme hat er emotional reagiert. Scheinbar hatte er die Absicht gefasst aus Alt-Folonara zu fliehen, als die SFG 77 die Ortschaft in Begriff war einzunehmen. Dann habe er jedoch die Präsenz eines Andikan-Geistes bemerkt und kurz darauf SSG Boucard erkannt. Das habe ihn dazu veranlasst, ihn zu einem Duell herausfordern zu wollen. Das habe sich als töricht herausgestellt, aber in der Situation erschien es ihm sinnvoll und unumgänglich.

Die Verhöre verliefen sehr zäh. Wir vermuten, dass er viel mehr berichten könnte, doch es fällt schwer die richtigen Fragen zu stellen. Er scheint resistent gegen einfache Verhörtaktiken.

Noyan

Noyan

Noyan ist ein Mann Mitte Dreißig und mit scheinbar asiatischen, chinesischen oder mongolischen, Wurzeln. Er wird als Schamane klassifiziert, wobei sein Totem unklar ist. Aus den Einsatzberichten zu Operation Himba ist anzunehmen, dass er Elemente als Totem verehrt oder aber in der Lage ist, elementare Kräfte ähnlich wie ein Hermetiker zu binden.

Noyan gibt an, ein „Gesandter aus dem Erwachten Großkönigreich Yakut“ zu sein. Diese Behauptung verbindet er mit der Forderung umgehend freigelassen zu werden. Er erkennt seine Lage als Gefangener nicht an und akzeptiert auch niemanden von AIM oder Nigeria als Verhandlungspartner auf Augenhöhe.

Sofern seine Behauptung stimmt, ist davon auszugehen, dass die wirren Reden über ein Königreich in Yakut ihren Ursprung in einer psychischen Störung haben, die immer wieder von Personen aus Yakutien beobachtet wurden. Seine Berichte sind widersprüchlich und gespickt von unzusammenhängenden, mythologischen Bildern.

Als Erklärung für seine Anwesenheit in Nigeria hat er mehrmals in verschiedenen Varianten geschildert, dass er Menschen kaufen will. Der Zweck ist unklar, aber scheinbar wollte er gefangene Himba abkaufen und nach Yakut bringen. Die Aussagen scheinen ins Bild zu passen, irgendwie, aber als Zeuge ist Noyan keinesfalls belastbar. Ethan McFarlow hätte hier sicher bessere Aussagen geben können, denn scheinbar hat dieser die Verbindung und Anreise für Noyan nach Nigeria organisiert. Noyan hat jedenfalls mehrfach erwähnt, dass McFarlow ein verlässlicher Schieber für Menschen in das Erwachte Yakut gewesen sein soll. Zudem habe er „technologische Wunderwerke“ in „unser Land“ gebracht.

Auna

Auna

Die im Zuge der Operation Himba aus der DeBeer-Villa befreite Auna ist genetisch gesehen eine Himba und auch in der erwachten Namib halb-traditionell aufgewachsen. Zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung nach Nigeria war sie vierzehn Jahre alt. Sie spricht gutes Englisch sowie einen Dialekt der Himba, der nur noch von kleinen Volksgruppen gesprochen wird. Unter anderem von ihrem Clan der in der Tagebaumine Nigeria IV gefangen gehalten wird.

Auna ist kooperativ und hat in ausführlichen Interviews geschildert, wie die gefangenen Himba „gezwungen“ werden, Rituale zur Besänftigung des Landes durchzuführen. Dabei scheint Auna den „Zwang“ der gefangenschaft zwar zu sehen und zu spüren, aber sie sagt auch, dass ihr Clan bereitwillig in der Mine bleibt und diese Rituale des Landes vollführt. Sie scheinen zu glauben, dass die Tagebaumine sich ansonsten in eine sehr große Gefahr für Land und Leben verwandeln würde. Daher auch Aunas Aussage, dass sie die Misshandlung und Gefangenschaft ihres Clans zwar beendet sehen will, sie wäre aber gleichzeitig auch bereit zurückzukehren und ihr Leben auf dem Felsplateau inmitten der Mine weiter fortzuführen.

Die politische Lage sieht dahingehend erfolgsversprechend aus. Mercenary Inc. wird allem Anschein nach den Auftraggeber schlicht wechseln und die Mine wird nun unter nigerianischer Flagge weiter betrieben werden. Allerdings wird sich die Lage der Himba deutlich verbessern. Insbesondere dann, wenn sie tatsächlich bereit sind, dort weiterhin zu bleiben und das „Land zu besänftigen“. Hier ist noch keine abschließende Entscheidung gefallen.

Initiative Tradestop

Pünktlich zum Stichtag beginnt heute, am 1. Juli 2074, die Initiative Tradestop auf Basis eines multilateralen Vertrags zwischen 121 Staaten und Konzernen, darunter solche Größen wie Ares Macrotechnologies, UCAS, CAS, Japanese Imperial State, Yutani Corporation und zahlreiche weiteren großen wie kleinen Namen.

Am vergangenen Mittwoch war dem Vertragsschluss eine Debatte und ein Aufruf in der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorausgegangen. Dem folgten die 121 Erstzeichner nun heute symbolisch zur Vertragszeichnung auf der PASS Coral Ring im Japanischen Meer in einer feierlichen Zeichnung.

Die Initiative Tradestop ist eine politische Konsequenz jahrzehntelanger Kämpfe gegen illegalen Menschenhandel, Sklaverei, organisierte Verschleppung und den kriminellen Abwerbepraktiken von Spitzenkräften durch staatliche oder Konzernakteure.

Betrachtet man sich die Gesamtliste der Erstzeichner dann wird deutlich, dass sich hier viele Konflikt- und Grabenlinien aus dem jüngst beendeten Pazifikkonflikt wiederfinden. Die Russische Föderation sowie die Cantonese Confederation befinden sich nicht unter den Vertragszeichnern, ebenso fehlen wichtige Akteure des mittel- und südamerikanischen Kontinents sowie einige große Namen der Megacorporations.

Während illegaler Menschenhandel und erzwungene Migration seit Jahrzehnten ein leidiges Thema ist, haben die jüngsten Ereignisse im Dahomey-Konflikt zur Initiative Tradestop geführt. Dort war bekannt geworden, dass massive Verschleppung von ganzen Bevölkerungsgruppen aber auch einzelner hochqualifizierter Personen stattgefunden hatte. Im Schutze der erwachten Dschungelgebiete sind die Schmuggel- und Schlepperrouten nach wie vor unklar. Personen aus dem direkten Umfeld der Konfliktparteien in Dahomey sprechen von weitreichenden Verschleppungen auf hohem technisch-logistischem Niveau unter Beihilfe mächtiger politischer Akteure.

Neben der humanitären Dimension haben insbesondere Ares Macrotechnologies und die Yutani Corporation darauf verwiesen, dass staatlich organisiertes Kidnapping und zwangsförmige Abwerbung von Spitzenpersonal aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einen massiven Umfang angenommen hat, gegen den die Initiative Tradestop vorgehen soll.

Ob die Initiative überhaupt etwas praktisch bewirken kann und ob dies dann eher im Dienst der Humanität oder Spionageabwehr steht, bleibt abzuwarten. Die Association Internationale des Mercenaires (AIM) hat sich ein robustes Mandat der Erstzeichner gesichert, ebenso die Konzerntruppen von Ares Macrotechnologies (inklusive weitreichender Ausstattungsaufträge). Ein Kontingent von Kriminal- und Ermittlungsbeamten aus dem Umfeld von Interpol sowie nationaler Behörden aus über 40 Zeichnerparteien soll die Ermittlungen und Dokumantetionen koordinieren.

Jacqueline Walters, CEO der AIM, gab am Rande einer Pressekonferenz an, dass sich ihre Organisation insbesondere der Verschleppungen im Zusammenhang mit dem Dahomey-Konflikt annehmen wird. Vertreter der Ares Macrotechnologies sprechen von einer massiven Cyberoffensive, die gemeinsam mit Renraku finanziert werden soll. Die Yutani Corporation sieht ihr Hauptinteresse laut einer matrixgenerierten Meme-Botschaft der CEO Miru im Bereich der Arbeitskräftemigration und der Verschleppung von „Verwandten aus der Yutani-Familie“, was auf den Konzernkrieg zwischen japanischen und chinesischen Konzernen verweisen dürfte. Hier war es unlängst zu mehreren aufsehenerregenden Entführungen und Vermisstenmeldungen hochrangiger Konzernmitglieder gekommen.

Channel 9 Singapur, 1. Juli 2074

Dahomeys zweites Erwachen

Der Ausklang dieses Jahres wird auch für das westafrikanische Dahomey ein Neubeginn sondergleichen sein, oder was davon übrig geblieben ist.

Wir erinnern uns: am 20. September 2073 wurde der Bura-Staudamm durch Terroristen besetzt, die mittlerweile der terroristischen Vereinigung der „Agooji“ zugerechnet werden. Es war der erste, aggressive Auftritt dieser Gruppe die, wie wir heute wissen, sich seit vielen Jahren in die politische und ökonomische Elite der Region eingeschlichen und ihren staatszersetzenden Einfluss ausgeübt hat.

Wer sind die Agooji? Nach allem was die vergangenen Monate enthüllt haben, handelt es sich um westafrikanische Splittergruppen, die sich hinter einer wiederbelebten Idee des Königreichs Agooji aus dem 19. Jahrhundert zusammengeschlossen haben. Als Stammsitz scheint der erwachte Dschungel im Nordwesten Dahomeys zu dienen. Ein unzugängliches Gebiet und seit dem Erwachen 2011 ein weißer Fleck auf den Landkarten, undurchdringlich für die modernen Satelliten und Aufklärungsdrohnen. Auch dem arkanen Auge fest verschlossen. Die wenigen, organisierten Erkundungen der frühen Zwanziger ließen es als ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen, im erwachten Dschungel von Dahomey irgendetwas von Dauer zu errichten. Die Wege hinein glichen eher einem Abstieg in die Vorzeit. Wer würde dort ein Königreich errichten können? Und dann noch eines, das aus dem Dschungel politische Intrigen und modernste Technik in die zivilisierte Welt führt?

Doch man läge falsch, wollte man all das, was kommen sollte, allein dieser Terrorgruppe zuschreiben. Königreich oder nicht. Eine Woche nach der Besetzung des Bura-Staudamms brach in ganz Dahomey, aber besonders im Norden und in der Hauptstadt, ethnische Gewalt ungekannter Ausmaße aus, zumindest nach Dahomeys Maßstab. Die Siedlung Ihuma gilt mittlerweile als Ground Zero und Stunde Null. Alles habe mit einer eher beiläufigen Verhaftung eines Fon begonnen, der im Gewahrsam der Ordnungskräfte die Schwarze Idola Afkarasar manifestierte. Von dort zog sich ein Teppich aus Feuer und Blut bis in die Graue Zone. Es kam zu Vertreibungen, Greueltaten gegen Nachbarn und am Ende mobilisierten Dahomey und Nigeria ihre Sicherheitsdienstleister und Armeen, die Kanonen und Drohnen starr aufeinander gerichtet.

Heute muss es uns klar erscheinen, wie naiv wir waren. Immer wieder übersehen wir die Anzeichen. Das Wirken der Idola – bis dahin eher ein Bestandteil der esoterischen und säkularisierten Privatreligion Dahomeys, lag Ende September bereits offen zutage. Man hätte nur den wenigen Stimmen glauben schenken müssen, die darauf hinwiesen.

Am 29. September 2073 berichtete dann sogar Channel 9 das erste Mal über Unruhen bei anstehenden Lokalwahlen im Norden Dahomeys und gab am 6. Oktober Raum für Schwerpunktberichterstattung. Es wurde außerdem bekannt, dass Dahomeys Regierung die schwelenden und eskalierenden Konflikte schon eine ganze Weile durch massive Matrixzensur zu verbergen suchte. Heute hören wir von den Verantwortlichen, sie hätten dazu die Pflicht gehabt, um die schädliche Wirkung der Schwarzen Idola einzudämmen, für welche die Matrix, die allzeitige Erreichbarkeit und ungehinderte Ausbreitung von Angst und Misinformation ein Quell ständigen Machtzuwachs gewesen sei. Die Corporate Court Matrix Authority handelte natürlich nach anderen Grundsätzen. Am 2. Oktober erfolgte die Androhung von Sanktionen aufgrund der aktiven Censor Hosts. Eine partielle Matrixsperre folgte dann zehn Tage später.

Ungefähr zeitgleich unternahm auch die Afrikanische Union erste Bemühungen für eine einseitige Sanktion und verhängte eine Seeblockade gegen Dahomey. Dies brachte den Militärdienstleister Association International des Mercenaires (AIM) in eine unangenehme Zwickmühle, da sich die Verteidigungsklausel aktivierte. Doch nun stand das besungene und gefeierte Dahomey als beginnender Schurkenstaat da. In einem Interview der CEO Jacqueline Walters am 9. Oktober konnte man die unangenehme Spannung heraushören. AIM entschied sich zur Vertragserfüllung. Ein Blockadekrieg im Golf von Guinea begann.

Zeitgleich startete Nigeria eine Offensive in die Graue Zone, um in die Wahlkampflage einzugreifen. Mercenary Inc., der Dienstleister für Dahomeys Landstreitkräfte, vermied eine harte Antwort und zog sich darauf zurück, Verkehrswege und Infrastruktur in den Ballungszentren zu schützen. Die Anarchie des Nordens begann.

Der Zusammenbruch des republikanischen Staates Dahomey folgte kurz darauf. Am 14. Oktober wurde der Bura-Staudamm durch die Agooji gesprengt und am 16. Oktober kam es zu einem Putschversuch in Lome. Doch entgegen den ersten Vermutungen, handelte es sich um einen Putsch der Guten gegen die Bösen. Die Agooji hatten sich so tief in die politische Elie eingeschlichen und dort ihre subversiven Verlockungen ihrer Schwarzen Idola verbreitet, dass die positiven Kräfte der Regierung und des Parlaments, als sie das Ausmaß erkannten, nur noch eine Aufhebung der staatlichen Ordnung als Lösung sahen. Die Infrastruktur, insbesondere die Kommunikationswege, wurden weitestgehend abgeschaltet. Das Schicksal des Landes wurde an die Menschen vor Ort weitergereicht. Die religiösen Kräfte, bis dahin eher in der Politik abstinent, beschwörten eine Weiße Idola des Ausharrens und Durchhaltens, Massuutu. Dann ging das Licht aus, in Dahomey.

Was genau geschah, verbleibt über weite Strecken im Dunkel. Nur langsam beginnen wir, die Ausmaße zu begreifen. Wer mit welchen Taten welche Folgen verursachte, wird wohl kaum nachzuvollziehen sein. Klar ist, dass sich gegen Ende Oktober im Norden Dahomeys, nahe der Wüstenrandgebiete, eine ethnisch und religiös besonnene Zusammenkunft einfand, von der aus die Impulse eines neuen Dahomey ausgehen sollten. Unter Ablehnung der technisierten Moderne, der weltumspannenden Kommunikation und Ökonomie, berief man sich auf lokales Handeln, auf Weiße Idola und die Kraft von Tier, Land und Mensch. Während südlich der Zusammenkunft die Graue Zone in die Gewaltherrschaft der Warlords fiel, Mercenary Inc. in den befestigten Städten unter Kriegsrecht ein normales Leben zu simulieren versuchte und im Norden, im Orichalkumgürtel, anarchische Ressourcenkämpfe zwischen internationalen Konzernen entbrannten, war die Große Zusammenkunft die vernünftige und einzige Alternative für jeden, der Frieden und Orientierung suchte.

Überraschenderweise mischte sich der im Golf von Guinea schwer unter Druck geratene Militärdienstleister AIM ab Mitte November plötzlich in genau dieser Region ein und füllte ein Machtvakuum in einem weitestgehend entvölkerten und unkontrollierten Gebiet. Von Nakatombe aus etablierte AIM eine humanitäre Unterstützung für die alleingelassenen Opfer der Staudammkatastrophe im Bura-Schwemmland. Doch es blieb freilich nicht bei blauen und weißen Helmen. Eine militärische Luftbrücke zwischen dem Golf und der Region um Nakatombe machte bald deutlich, was die „Task Force Landfall“ von AIM beabsichtigte. Mit militärischer Härte wurden Schläge gegen militärische Anlagen der Agooji im Randgebiet des erwachten Dschungels durchgeführt. Aber es soll auch zu Aktionen in Moskuwa gekommen sein. Als Auftraggeber nannten die Offiziellen von AIM zu diesem Zeitpunkt eine „verfassungsgebende Nachfolgeregierung“ aus der Großen Zusammenkunft, hunderte Kilometer von der Hauptstadt Lome entfernt, abgeschnitten von jeder Matrix-Verbindung und jedem Übertragungswagen.

Während das eigenwillige und riskante Militärmanöver zu Lande von vielen als politischer Selbstmord verlacht wurde, waren es jedoch nicht die politischen Fragen, die im Dezember die dringlichsten waren. Auf der mystischen Ebene, so weiß man nun, wurde der Kampf mindestens eben so hart geführt, wie auf der militärischen. Auf der Großen Zusammenkunft wurden Bündnisse mit und zwischen der Geisterwelt geschmiedet und die Kräfte der Tiertotems näherten sich den sogenannten Weißen Idola an. Ein Zug der Tiere wurde verkündet, er soll eine Steinsetzung monumentaler Ausmaße begleiten, die von der Wüste bis zum Atlantik führen soll. Ein Unterfangen, das Jahre dauern wird, allein von Muskelkraft vorangetrieben. Die wenigen Bilder in den internationalen Nachrichten erinnern an biblische Szenen.

Der Grund und Widersacher für all diese Anstrengungen schien nun klar zu sein: die Terrorgruppe der Agooji hatte die Schwarzen Idola und ihre perfiden, schädlichen Kräfte geschürt und für ihre zersetzenden Zwecke eingespannt. Der Kampf konnte und musste also auf mystischer Ebene mindestens so erfolgreich ausfallen, wie auf politischer und militärischer.

Es bleibt unbestätigt doch wird es allgemein akzeptiert, dass AIM und Mercenary Inc. zuerst in einen militärischen Konflikt miteinander gerieten, als man einen religiösen Pilgerort, das sogenannte Sandorakel, befreite und den lokalen Volksgruppen übergab. Dem folgte ein mittlerweile gut dokumentierter Gegenschlag gegen ein sogenanntes „Grenztor“ der Agooji in den erwachten Dschungel. Eine Art ritueller Übergang in ihr „Königreich“. Die Forschungen und militärischen Erkundungen dauern an.

Den Höhepunkt jedoch, sahen wir alle vor unseren Trideoschirmen am Abend des 27. Dezember 2073. Nichts geringeres als eine Inkarnation des Löwentotems selbst, manifestierte sich im Schwemmland des Bura-Staudamms und betrat festen Grund auf afrikanischer Erde. Ein Ereignis, das innerhalb von Stunden ausgedehnte Regionen und Landstriche einer Umwälzung unterzog, die man vielleicht kataklysmisch nennen würde, hätte sie nicht genau das Gegenteil bewirkt. Wo Löwe in Avatargestalt seine Tatzen auf die Erde setzte, wich das verunreinigte Flutwasser zurück. Straßen, Gebäude, Industrieanlagen und Fahrzeuge verschwanden in der schwarzen Erde Afrikas. Steppengras und Bäume sprossen aus der entfesselten Urgewalt und zurück blieb nichts als geheilter Grund.

Überflutetes Stadtgebiet vor der Umwälzung
Selbes Stadtgebiet nach dem Streifzug von Löwe

Dieser „Streifzug des Löwen“ war die Folge, so hören wir, eines gescheiterten Versuchs der Agooji, die Ikone des Schwarzen Kontinents in eine toxische Entartung zu locken oder zu vernichten. Das Gefängnis wurde jedoch gesprengt und Löwe befreit. Die „Schwarze Hexe“ der Agooji, eine politische und religiöse Führerin namens Enomi, wurde durch Löwe selbst Berichten zufolge vernichtet. Wie dreist das Agieren der Agooji war kann man auch daran ermessen, dass viele von uns die Mode- und Beauty-Line Égalitérnité daheim im Schrank stehen haben. Eine Produktreihe, die sich im Besitz dieser Agooji befand.

Doch auch weltliche Kontrahenten lieferten sich eine erbitterte Schlacht. Mercenary Inc. und AIM lagen über dem umkämpften Gebiet in einem Luft- und Bodenkampf, auch lokale Milizen der vereinten Volksgruppen waren involviert. Auch wenn die genauen Umstände nach wie vor Fragen aufwerfen, am Morgen des 28. Dezember war eines klar: die Geschichte Afrikas hatte vielleicht ihre größte Zäsur erfahren. Viele vergleichen das Ereignis mit dem Großen Geistertanz und es ist bereits absehbar, dass Löwes Erscheinen und Wirken ein Feuer in zahlreichen Staaten südlich der Sahara bedeuten wird. Der Leiter der Afrika-Abteilung von DeBeers Omnitech formulierte es so: „Es wird Jahre oder Jahrzehnte dauern, und ich zwar allein bis man ausgerechnet haben wird, welchen ökonomischen Verlust der 27. Dezember 2073 der Weltwirtschaft wirklich beigebracht hat.“

Was wird nun werden?

Der Verbleib von Löwe ist unbekannt. Einige Stimmen aus eingeweihten Kreisen sagen, er hätte sich an die Spitze des gigantischen Tierzuges gesetzt, der sich immer noch formiert und gen Süden zieht. Andere weisen darauf hin, dass es Anzeichen dafür gibt, dass Löwe Dahomey bereits verlassen hat und andere Länder durchstreifen wird.

In Dahomey ist es nun einmal mehr an den Menschen sich neu zu besinnen und die Dinge in die Hand zu nehmen. Die Große Zusammenkunft wurde zum vorübergehenden Sitz der Übergangsregierung und verfassungsgebenden Versammlung gewählt. Ein Verfassungsentwurf ist bereits veröffentlicht. Die Association Internationale des Mercenaires hat im Bura-Schwemmland eine vorgeschobene Operationsbasis errichtet und ihren Dienst der Übergangsregierung als einstweilige Exekutive angeboten.

AIM Forward Operating Base

Politisch haben sich Vertreter der Hausa, Bariba, Igbo und Fulbe bisher stark profiliert und man versucht Diversität, Toleranz und Demokratie aus dem alten Dahomey in das neue zu retten. Leider ist schon jetzt absehbar, dass die marginalisierten Fon erneut den Kürzeren ziehen könnten. Doch was wird überhaupt anders sein? Sicherlich wird der Ausgleich zwischen Moderne und religiös-mystischer Verbundenheit zum Land neu ausgerichtet werden. Das ist aus dem Verfassungsentwurf ersichtlich. Die sogenannten Idola, so hört man, müssen aus ihren entarteten Formen zurück in eine positive Ausrichtung geholt werden. Und wo dies nicht möglich scheint, soll die Bevölkerung Afrikas lernen, die unheilvollen Wirkkräfte des Miteinander im 21. Jahrhundert besser erkennen und begrenzen zu können. In diesem Zusammenhang hat sich eine einflussreiche „Prinzessin“ aus Nigeria auf dynastische Ansprüche berufen und behauptet, der Wandel der schädlichen Idola Andikan zu einer Idola des gütigen und solidarischen Zusammenlebens habe bereits stattgefunden. Ob dieses neue Experiment zwischen erwachtem Land, monarchischen Prinzessinen, demokratischem Gedankengut, Volksglaube, Idola und einer modernen, technisierten Gesellschaft gelingen kann darf weiter fraglich scheinen.

Und welche Rolle wird Löwe weiter spielen?

African Colors Trideo Broadcast, Moskuwa, 31. Dezember 2073

Memo, CEO

Eine aufgezeichnete Trideo-Botschaft erreicht Régicide, Norge, Zoé, Copper und Positive am 29. Dezember 2073, zwei Tage nach dem Ende der Operation Untamed Pride. Absender ist Jacqueline Walters, CEO von AIM. Die Aufnahme findet in einem modernen Büro statt. Sie sitzt an einem Schreibtisch aus Glas. Im Hintergrund eröffnet ein Panoramafenster den Blick auf den Atlantik hinter einem Vorhang aus wirbelnden Schneeflocken.

„Chief Miller, Captain Morellè, Sergeant Boucard, Sergeant Svenson, Sergeant Breslin – diese Nachricht ist für sie bestimmt.

Ich hoffe sie verzeihen mir, wenn ich mich direkt an sie wende. Normalerweise ist es nicht meine Art, mich in die Arbeit des hochgeschätzten Central Command einzubringen. Ich bin ohnehin nicht dazu geeignet zur hervorragenden Qualität unserer militärischen Arbeit beizutragen. Ihr vorgesetzter Offizier hat mich aber ermutigt, meinem Wunsch nach einem persönlichen Memo nachzukommen.

Vorweg möchte ich aus ganzem Herzen Master Sergeant Svenson eine schnelle und vollständige Genesung von seiner schweren Verletzung wünschen. Aber auch die anderen von ihnen haben harte Entbehrungen und Verletzungen hinnehmen müssen, die mitunter nicht spurlos an kämpfendem Personal vorüber gehen. Seien sie sich unserer unbedingten Unterstützung auf ihrem Weg der Erholung sicher.

Es ist schwer, glaubhafte Worte für die Dankbarkeit zu finden, die ihnen unsere Association schuldet. Nachdem ich über die strategischen Ergebnisse und auch einige taktische Schlaglichter ihrer Arbeit in Dahomey informiert wurde, erfüllte mich dies mit sehr großem Stolz. Sie haben weit über die erwartbaren Maßen hinaus einen Einsatzwillen gezeigt. Und mehr noch, sie haben den Mut gehabt, ihren persönlichen Idealen zu folgen, als sie sich abseits jeglicher Einsatzleitung unter widrigsten Umständen wiederfanden. Ideale, die zudem im Einklang mit den Idealen unseres Unternehmens stehen. Damit dies so geschehen konnte, mussten alle Teilbereiche von AIM hervorragende Arbeit leisten. Und damit meine ich bereits ihre Personalauswahl, die Grundsatzabteilung, das Policy Board, ihre Vorgesetzten, die ihnen jederzeit voll vertrauten, und natürlich sie selbst.

Die Kampagne AIM Matters war das strategische Kind unserer Afrika-Abteilung des Policy Board und ich denke ich kann mit Sicherheit sagen, dass die tadellose Zusammenarbeit von Miss Clark und ihnen im Feld, trotz aller Umstände, der Schlüssel dafür waren, dass die Association heute Dahomey dabei unterstützen darf, eine schwere Krisenzeit zu überwinden und gestärkt aus dem „zweiten Erwachen“ hervorzugehen.

Das Central Command wird seinen Weg finden, ihnen für ihre militärischen Taten zu danken. Und ich höre auch, dass das Services Department und Policy Board eine Bonuszahlung und Würdigung ihrer zivilen Heldentaten erwägt. Ich freue mich sehr für sie! Doch was bleibt mir dann noch zu tun, außer dankende Worte zu sprechen?

Ich denke nicht viel. Doch ich möchte gerne noch ein Versprechen ergänzen. Ich hoffe, sie bleiben unserer Association erhalten, denn ich setze mich dafür ein, dass Persönlichkeiten wie sie eine aufstrebende Zukunft in unserem Haus haben. Sie haben in ihren wenigen Dienstjahren für AIM bereits außerordentliches geleistet. Mir ist daran gelegen, dass sie ihren Weg gehen können, der uns gemeinsam weiter zur Verwirklichung unserer geteilten Ziele bringt.

Alles herzlich Gute wünsche ich ihnen aus einem verschneiten Finistère. Verbringen sie einen friedlichen und erholsamen Jahreswechsel.“