Ein sichtlich erschöpfter und angespannter Captain Uzun meldet sich nach dem Ende der OP Real Estate und den Anschlussuntersuchungen vor Ort bei der SFG 77. Es ist bereits die Nacht zum 10. Oktober 2073. Wahltag im Nordosten Dahomeys. Wahltag in Tembe. Das unermüdliche Team ist bereits dabei, den Einsatzwagen zu beladen und sich noch in dieser Nacht auf den Weg in den Wahlkreis Tembe zu machen. Der Lieutenant gibt Grünes Licht für Operation Stichwahl und den Mitgliedern der SFG 77 die letzten Neuigkeiten mit auf den Weg.
Lieutenant, Sergeants, Chief Miller,
Sie können nicht ermessen was hier gerade in der AIM Außenstelle in Ceuta los ist. Gefühlt ist hier ein Hurricane durchgekommen. Wir hatten gerade einen Notarzteinsatz nach einer Lagebesprechung. Miss Clark und zwei weitere Mitarbeiter wurden medikamentiert und sind jetzt im Ruheraum. … Ich glaube, so einige würden gerade gerne mit Ihnen im Feld tauschen… Aber eines nach dem anderen.
Operation Real Estate war ein enormer Aufklärungserfolg, das zeichnet sich schon jetzt ab. Ich möchte Ihnen zur guten Arbeit gratulieren. Insbesondere die ethnische Landkarte, die Interviews und die Notizen von Evan Choi sind sehr wichtig für unsere Kurskorrekturen.
Der Captain wird etwas düsterer.
Miss Clark hat die „Neuigkeiten“ über Evan Chois Sicht der Dinge mit, ich sage mal: gemischen Gefühlen aufgenommen. Sie hält Evan Choi über weite Strecken für jemanden, der sich zu schnell in Verschwörungstheorien verrennt. Sie hat aber auch zugegeben, dass sie seine Berichte in der Vergangenheit regelmäßig zensiert hat. Sie dachte wohl, ihr Ruf würde leiden, wenn sie die Meldungen über ethnische „Geheimbünde“ und verborgene „Graue Gremien“ im Verwaltungsapparat von Dahomey ernsthaft in die Strategieentwicklungen des Policy Board mit eingibt. Vielleicht hatte sie damit auch nicht so unrecht… immerhin hatten wir bisher keinerlei eigene Augen vor Ort. Jedenfalls hat sich Miss Clark bei mir entschuldigt und ich soll das an sie weiterleiten. Sie räumt ihr Versäumnis ein, warnt aber nach wie vor, zu sehr auf Evan Chois Steckenpferd zu setzen. Nun gut. Schauen wir aber, was wir haben.
Katuso Uzun blendet die Ergebnisse der Auswertung ein:
(1) Wenn die ethnische Dimension in Dahomey so bedeutsam ist, wie Evan Choi glaubt, dann stellt das einen wichtigen Anhaltspunkt für mögliche Motive am Bura-Staudamm dar. Wenn es solche Splittergruppen oder gar rassistische Strömungen gibt, haben die vielleicht Interesse daran, die Regierung zu erpressen und die Regierung möchte das vielleicht auch gerne unter den Teppich kehren. Es macht also wohl Sinn, bei der Suche nach den Tätern am Bura-Staudamm die ethnische Dimension im Blick zu halten.
(2) Das gleiche gilt demnach auch für potentielle Allianzpartner und Verbündete. Die Interviewpartner von Evan Choi geben einen interessanten Einblick in eine Struktur, die wir bisher nicht kannten. Wenn es ethnische – oder sagen wir besser: gruppenbezogene – Sonderinteressen gibt, kann uns das vielleicht nutzen. Welche dieser Gruppen – Hausa, Bariba, Fulbe und so weiter – haben Interessen, die mit unseren vereinbar sind? Bedenken Sie, dass wir nach starken Partnern suchen, die uns die Tür nach Dahomey öffnen.
(3) Dann noch eine andere Sache, die wir bisher nur so als Randbedingung betrachtet haben. Sie haben sicher die aktuellen Nachrichten verfolgt und gesehen, dass die Geschäftsführung unter Druck geraten ist. CEO Walters war nach diesem Interview außer sich, wie uns berichtet wurde. Wir hatten gerade ein Meeting mit dem Büro des Generalsekretärs des Policy Boards und ich möchte ihnen kurz zusammenfassen, wie die großen Dinge da oben mit den kleinen hier unten zusammen hängen. AIM steht enorm unter Druck, durch diese unerwartete Androhung einer Seeblockade. Und unsere Kampagne AIM MATTERS ist nun viel komplizierter geworden. Warum? Seit 2068 bemannt AIM alle Kriegsschiffe und Küstenwachen von Dahomey. Im Gegenzug erhalten wir Zugang zu den modernsten Überwasserschiffen der Welt. Diese technologische Überlegenheit war in der Pazifikkrise unser Rückgrat. Diese Flottenkooperation kann AIM auf keinen Fall riskieren. Zudem haben wir mit AIM MATTERS eine Grundsatzentscheidung vorliegen, wonach wir den Markt in Dahomey erobern sollen. Wir wollen da rein und die anderen Sicherheitsdienstleister endlich zur Seite fegen. Vor allem den großen Konkurrenten Mercenary Inc. Das Problem ist nun, dass Dahomeys politische Lage unsere ethischen Unternehmenswerte und Grundsätze extrem strapaziert. Die Geschäftsleitung glaubt, dass wir in eine Zwickmühle geraten sind. Wenn wir Dahomey weiterhin loyal bleiben, riskieren wir unsere Reputation weltweit einzubüßen. Gehen wir in eine kritische Haltung zu Dahomey, droht uns noch mehr Einflussverlust. Wir wollen relevante und absolut loyale Partner sein, aber auch eine wertebezogene Geschäftspolitik verfolgen. Das zusammen sichert uns unseren Marktanteil, zusammen mit der militärischen Schlagkraft und dem technischen Know How.
Nun wurde CEO Walters ziemlich … ich will sagen … bloßgestellt. Die Geschäftsleitung stand wie ein minderer Diener da, der keine Ahnung davon hat, was sein Kunde auf dem Festland eigentlich treibt. Das geht ganz und gar nicht. Daher haben wir gemeinsam mit der Geschäftsleitung entschlossen, ein weiteres, strategisches Ziel in unsere Kampagne mit aufzunehmen. Es lautet: „Aufklärung der tatsächlichen Lage und Hintergründe um die Matrixzensur und den Verdachtsmomenten eines Völkerrechtsbruchs in der Tawani-Region.“. Die Geschäftsleitung braucht so schnell wie möglich eine Entscheidungsgrundlage um abschätzen zu können, ob und wann man zu Dahomey auf Distanz gehen muss. Am besten wären natürlich dokumentierte Beweise. In Lome hält man uns einfach hin. Der Außenminister hat unsere CEO scheinbar mächtig düpiert und abblitzen lassen. Wir brauchen also eine fundierte Beurteilung von Ihnen vor Ort. Was läuft da ab, was versteckt Dahomey und wer hat da die Finger am Abzug? Warum provoziert man die CCMA so dreist und wer oder was erzwingt diese extrem kostspielige Aufrechterhaltung der Zensur?
Wir können es uns nicht erlauben, für einen Schurkenstaat eine Seeblockade zu brechen. Das wäre der worst case. Ein massiver Schaden droht schon ganz unmittelbar, auch ohne faktische Seeblockade, weil AIM nun Farbe bekennen muss. Es ist absolut notwendig, dass unsere Kampagne zeitnah einen Ausweg präsentiert! Antworten und eine unmittelbare, verlässliche Lageeinschätzung müssen her. Sonst kann die Firmenleitung nicht entscheiden, ob es eine Entry- oder Exitstrategie verfolgen will.
Praktisch heist das für uns, Miss Clark wurde als Leiterin der Kampagne von der Geschäftsleitung bestätigt. Damit fängt sie den Druck einigermaßen von uns ab. Sie hat einen kleinen Zusammenbruch nach dem Meeting erlitten, wird aber bald wieder arbeitsfähig sein. Wir dürfen ihr keinen Grund liefern, uns Fehler anzulasten oder angreifbar zu machen. Ich sage das ganz offen. Sie gibt die Leitlinien vor, wir führen aus. Immerhin hat sie wohl eingesehen, dass alles von Ihnen, dem SFG 77 vor Ort, abhängt. Sie wird sich also mit uns arrangieren müssen. Und wir mit ihr.
Es wurde die Frage diskutiert, ob AIM nun massiv Geld und Ressourcen investieren sollte. Ich habe diese Frage eingebracht. Die Antwort war zweigeteilt. Einerseits ist man zurückhaltend AIM MATTERS zum gegenwärtigen Zeitpunkt massiv auszuweiten. Das Bekanntwerden eines intensiven Engagements in einer möglichen Konfliktzone, zumal noch ohne offiziellem Auftrag, wäre ein Desaster! Insofern wünscht man sich schnelle Antworten mit dem was wir gerade vor Ort haben. Andererseits ist absehbar, dass man AIM MATTERS stark ausweiten wird, wenn wir diese wichtigen Antworten und ein robustes Standbein haben. Man will also erst klare Entscheidungsgrundlagen für eine Entry-Strategie. Sie sind und bleiben die Speerspitze!
Mit den Wahlen im Bezirk Tembe haben sie sich eine gute Folgeoperation vorgenommen. Die führt uns ja direkt dort hin, wo derzeit das ganze Problem zu kochen scheint. Die Wahlen finden in dem Gebiet statt, das kürzlich noch von Gewalt gezeichnet war; es gehört zur Grauen Zone und zudem galt bis vor wenigen Tagen eine Ausgangssperre. Obendrein hat Nigeria dort bereits militärische Präsenz gezeigt. Wenn es also Antworten auf unsere drängenden Fragen gibt, dann doch wohl dort!
Seien sie vorsichtig und kommen Sie mit den besten Ergebnissen zurück, die man sich wünschen kann! Ich zähle auf Sie und Sie haben meine volle Unterstützung.
Der Captain scheint gespannt und fast euphorisch. Hier stand wohl einiges auf dem Spiel. Fragte sich nur, für wen genau.