Der Krieg der anderen

Anlässlich der grade in Tokyo stattfindenden Konferenz für Rohstoffhandel im Pazifikraum hatte Perry Anderson (Washington Post) Gelegenheit zu einem persönlichen Interview mit Ms. Jacqueline Walters, CEO der Association Internationale des Mercenaires. Mit freundlicher Genehmigung dürfen wir Ausschnitte daraus an dieser Stelle bereits veröffentlichen.

Perry Anderson (PA): Miss Walters, vielen Dank für das spontane Gespräch. Die Konferenz erleben Sie als fordernd?

Jacqueline Walters (JW): Sehr gerne. – Die Konferenz ist groß und stellt wichtige Weichen, ja, aber eine kleine Auszeit für ein Gespräch ohne Trubel ist eine Erholung.

PA: Schön. Dann komme ich auch gleich mit den großen Geschützen: Ihre Anwesenheit wird von vielen nach wie vor mit Krieg und Konflikt in Verbindung gebracht. AIM steht wie kaum jemand sonst für die Privatisierung von Krieg. Was sagen Sie den Konferenzteilnehmern hier, wenn man Ihnen erklärt, dass man AIMs Dienste hier ganz und gar nicht braucht?

JQ: (lacht) Ja, also das sagt so eigentlich niemand. Aber ich greife Ihren Richtungswink gerne auf. Ich denke den meisten hier ist sehr wohl bewusst, dass sich die Aufgaben und Arbeitsweisen privater Sicherheits- und Militärdienstleister gewandelt haben und das unsere Anwesenheit hier keine Drohung ist, sondern eine Stütze für die komplexen Verhandlungen zwischen so vielen Parteien.

PA: Wie stützen Sie da?

JW: Sehen Sie, moderne Sicherheits- und Militärunternehmen werden durch den Begriff „Söldner“ nicht mehr hinreichend beschrieben. Das Motiv individuell orientierter, persönlicher Bereicherung durch unmittelbare Beteiligung an Kriegshandlungen wurde schon vor fast 70 Jahren durch zunehmend unternehmerische Strukturen ersetzt.Unser typischer Mitarbeiter ist kein geldgieriger Gewaltmensch mehr. Er ist Teil eines Unternehmens, Teil einer Organisation die ihn stützt, und Teil einer klaren Verpflichtung auf konstruktive Konfliktlösung. Wenn Sie mich also fragen, was AIM hier auf der Ressourcenkonferenz stützt, dann ist es die Aussicht mit den Konflikten die kommen werden, gut und produktiv umzugehen. Das private Sicherheitswesen hat sich letztlich auch nur als Reaktion auf gewandelte Sicherheitsbedürfnisse verändert.

PA: Was hat sich da Ihrer Ansicht nach geändert?

JW: Ich bleibe, wenn Sie erlauben, lieber in der aktuellen Zeit und spare mir historische Rückgriffe. Das ist vorbei. Was sehen Sie heute, wenn es irgendwo zu Krisenherden kommt? Ein völliges durcheinander. Kaum jemand kann klare Grenzen ziehen oder Parteien definieren. Zivilisten und Kombatanten wechseln ihre Rollen nach Tageszeit, nach Blickwinkel oder Notlagen. Verantwortliche verstecken sich hinter schwer zu erkennenden, subtilen Angriffsakten und so weiter. – Der letzte große Krieg der Nationen ist dreißig Jahre her. Und auch damals waren die Euro-Wars schon nicht mehr eindeutig klar strukturiert. Ich erinnere an den Nightwraith-Zwischenfall 2033 oder an die merkwürdigen Ereignisse um die CASS Shigeruu im Jahr 2040. Massive Vorfälle, ohne klares Gesicht.

Genausowenig können Sie heute unterscheiden, ob ein Sicherheitsunternehmen zivil oder militärisch arbeitet. Denn das weiß man erst, wenn man sich den Aufgaben stellt und sich ein Szenario entwickelt. Und das liegt nicht an schlechter Planung, sondern an der Natur gegenwärtiger Konflikte und Krisen. Nehmen Sie zum Beispiel einen einfachen Wachschutzdienst, zum Beispiel ein Geleit für einen Konvoi durch ein Kriegsgebiet. Unser Personal trägt Waffen, das parlamentarische Mandat verpflichtet sie aber dazu, diese Waffen nur zum Selbstschutz einzusetzen. Als Kommandat der Klientennation sind sie also vorsichtig und setzen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur für risikogeringe Konvois ein. Nun kann es jederzeit aus der lokalen Bevölkerung heraus zu massiven Angriffen kommen. Wir haben das zuletzt auf Sumatra gesehen. Plötzlich ist die zivile Wachschutzabteilung direkt mit entschlossenen, lokal verwurzelten Kombatanten konfrontiert. Sie ist gezwungen militärisch vorzugehen. Es gab Fälle, in denen hat man solche Konvois absichtlich durch Hochrisikogebiete gelenkt, damit die Selbstschutzklausel unwirksam wurde. Diese Einfalltore für Korruption und Mandatsbruch sind schrecklich. Die Philosophie von AIM ist es, dieser Realität ins Auge zu sehen. Man kann Verantwortung übernehmen, mit sanfter Ruhe und notwendiger Härte zugleich durchgreifen. Die Grundlage dafür ist ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen den Sicherheitsdienstleistern, den Unternehmen und Nationen und der Bevölkerung. Auf dieses Vertrauensverhältnis baut AIM ihre Dienstleistungen auf.

PA: Was bedeutet das für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

JW: Es ist eine Herausforderung, die durch Aufklärung, Ausbildung und Koordination aber zu bewältigen ist. Überwiegend haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen zivilen Status, dürfen sich also nur selbst verteidigen. Sie sind zudem an das Völkerrecht und Interventionsrecht gebunden. Im Falle manifester Gewaltkonflikte die auf AIMs militärischen Arm als regulierende Machtinstanz angewiesen sind ist die Sachlage etwas anders gelagert, aber das Grundproblem bleibt: Sie können zivile und militärische Handlungsfelder heute nicht mehr trennen.

PA: Warum dann AIM? Könnten nicht die Pazifikpartner hier auf der Konferenz selbst für das Problem sorgen?

JW: Sie können! Und sie wollen es auch. Aber es gibt erdrückende Gründe für unsere Unentbehrlichkeit. Wir füllen gezielt die Kapazitätslücken staatlicher Militärapparate, wir gleichen Personalmangel aus, in Zeiten fast verschwundener stehender Heere, und durch die Technisierung der Kriegsführung brauchen Sie heute bei plötzlichem Bedarf sofort Spezialistinnen vor Ort – seien es Magier, Matrix-Operatoren oder Datenanalysten. Außerdem, das kann ich um diese Uhrzeit wohl anfügen, reduziert der Einsatz eines privaten Sicherheitsdienstleisters die „politischen Kosten“ im eigenen Land. Es ist etwas bitter, aber niemand möchte heute eine Gesellschaft militarisieren und niemand möchte seine Bürger mit Ehren begraben müssen. Es gibt niemanden der in dieser Hinsicht effizienter ist als AIM. Keine Armee und kein anderer Sicherheitsdienstleister weltweit schützt seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz besser.

PA: Also AIM als rationale Alternative?

JW: Leider ja. Denn ich wiederhole nochmal, – es wird nämlich immer wieder gerne vergessen – dass unsere erste Agenda lautet, Konflikte konstruktiv zu lösen. Wir distanzieren uns ganz klar von Kriegstreiberei, kriegsverlängernden Maßnahmen oder Seilschaften mit der Rüstungsindustrie. Sie werden die großen Rüstungskonzerne bei uns nur als Kunden finden, nicht als Stakeholder.

[…]

 

PA: Was geben Sie den asiatischen und amerikanischen Konferenzteilnehmer hier also mit?

JW: Ressourcenkonflikte der Kragenweite, wie man sie hier verhandelt, sind extrem folgenschwer und es wird nicht ohne Reibereien gehen,  innerstaatliche und zwischenstaatliche. Wenn AIM effektiv helfen können soll, dann müssen die Akteure eine demokratische Kontrolle ihres Konfliktverhaltens sicherstellen. Wir öffnen uns dem, aber jeder Kunde muss einen ehrlichen und offenen Weg finden den gewählten Weg in der politischen Öffentlichkeit seines Unternehmens oder Landes abzustimmen. Korruption, Gewaltexzesse, Menschenrechtsverstöße und unehrliche, kurzsichtige Lösungen sind tödlich für jeden Mediations- oder Friedensprozess. Wir zeigen hier unseren Kunden Wege auf, aber wir können den Exekutivverantwortlichen die eigenen Entscheidungen nicht abnehmen.

PA: Sagen Sie dies den Partnern hier vor Ort dann auch so? (lacht)

JW: Ich versuche es! Auch wenn es oft verlockend ist in Detailfragen zu flüchten. Ich wünsche mir manchmal, dass mehr Partner so unverschämt den Finger auf wunde Punkte legen würden wie Sie, Mr. Anderson. Die großen Fragen da oben spüren die Menschen ganz unten am heftigsten.

PA: Oh, dann bin ich ja froh, dass Sie milde mit mir ins Gericht gehen! Ich bedanke mich jedenfalls sehr herzlich für das Gespräch, Ms. Walters, und wünsche Ihnen eine angenehme Nacht und eine erfolgreiche Konferenz.

JW: Ich habe zu danken.

 

Die ungekürzte Fassung wird am 27. November 2071 in den Medien der Washington Post veröffentlicht.

25. November 2071