Kantinengespräch

AIMS Juno, Freie Kantine

Die Freie Kantine auf der AIMS Juno, der einzige Ort des Schiffes, an dem sich zu Friedenszeiten die Besatzung frei von Rang und Position begegnen kann, um gemeinsam dem schweren, und oft auch eintönigen, Dienst zu entfliehen. Trideos, runde Gruppentische, eine ordentliche Bar, das alles wurde traditionell von der Crew der Maschinenbediener mit einer geopferten Freischicht betrieben und am Laufen gehalten. Schummrig genug, um den grellen Neonlichtern der Arbeitsbereiche zu entfliehen. Hell genug, um nicht den Eindruck von Gefechtsbeleuchtung zu erwecken. Und vor allem: bunt.

Captain Uzun ließ, wie üblich, seine weiße Dienstmütze am Eingang zur Freien Kantine zrück, als er drei Tage nach Operation Ancient Mariner endlich eine kleine Auszeit nehmen konnte. Männer und Frauen unter seinem Kommando hatten allerdings noch hektischere Tage und Wochen hinter sich als ihr Captain.

Die Besatzung der Juno schielte dem jungen Captain über ihren Bier- und Cockailgläsern hinterher. Auf seiner Navy-Uniform prangte das goldene Abzeichen des Special Operations Command. Es war nicht verborgen geblieben, dass eine verdeckte Operation stattgefunden hatte. Captain Uzun nickte einigen bekannten Gesichtern mit einem müden Lächeln zu und setzte sich mit seinem gesalzenen Gin an einen leeren Tisch.

Zoé war auch in der Kantine. Natürlich überwiegend unbemerkt. Auch von Captain Uzun. Sie erwog für einen Moment, sich an den Tisch des Captains zu setzen. Irgendetwas sagte ihr, dass er Gesellschaft nicht abgeneigt war. Doch bevor sie sich entschließen konnte, kam ihr jemand zuvor. So konnte Zoé, mehr oder weniger freiwillig, das folgende Gespräch mithören, das sie später auch den Kameraden berichten würde.

CPT Katsuo Uzun
SPC Kara Lance

 „Captain, schön sie hier zu sehen.“

Uzun sah auf, rückte die Brille zurecht und lächelte matt: „Specialist Lance. Wie ich sehe, ohne Datentableau sondern mit einem russischen Starkbier.“

„Darf ich?“

„Sicher, bitte. Setzen sie sich frei.“

„Danke, Sir.“

Die heute gar nicht mehr so jung erscheinende Blondine setzte sich. Und das fiehl ihr gar nicht so leicht. Ihre Bewegungsfreiheit am rechten Oberschenkel oder der rechten Hüfte war sehr eingeschränkt. Fast wirkte es, als habe sie ein steifes Hüftgelenk. Beim gehen oder stehen blieb es jedoch unbemerkt. Ihr Umgang damit war routiniert. Es plagte sie wohl nicht erst seit vorgestern. Als sie saß, blickte sie sich ein wenig in der Lounge um, dann beäugte sie ihren Captain genauer. Der starrte auf einen Trideo mit Sportnachrichten aus dem Kaukasus, sichtlich gedankenverloren.

„Waren ein paar harte Tage, “ sprach Lance und warf vorsichtig einen Köder ins Wasser. Der Captain riss sich los vom Trideo und gab sich einen Ruck zur Konversation.

„Für manche mehr, für manche weniger. Sie haben wieder gute Arbeit geleistet, Specialist. Sie haben mir den Kopf vom Kleinkram freigehalten, bei dieser ganzen Hau-Ruck-Operation. Wie immer.“ Ein herzlicheres Lächeln von ihm folgte, wenn auch nur kurz.

„Danke Sir,“ Lance rutschte etwas legerer in den Sessel hinein und trank recht zwanglos am Starkbier. Scheinbar hatte sie deutlich weniger Probleme formlos zu sprechen als der Captain. Das machte ihm aber offenbar nichts aus.

„Da lässt sie was nicht los, hm? Oder sind sie schon bei Operation Follow-Up?“, falls Lance damit auflockern wollte, gelang es ihr nicht wirklich.

„Es ist diese Helena, Lance,“ ein tiefes Durchatmen von Uzun, „ich kriege sie nicht aus dem Kopf. Ich glaube, das war der größte Fehler, den ich jemals in meiner Dienstzeit gemacht habe.“

Lance starrte ihn einen Moment an. Dann begriff sie, dass das vielleicht ernster war, als sie zuerst gedacht hatte. „Die Freundin von der Zielperson?“

„Ja.“

„Sie war ein drastischer Risikoposten, vielleicht noch mehr als die gesamte P-Gruppe,“ gab Lance zu bedenken.

„Nicht nachdem wir die Zielperson einfach so zurückgelassen haben. Das macht den Vermisstenstatus der Frau so sinnlos. Nicht nur ein Verbrechen, sondern auch sinnlos.“

„Warum haben sie den Befehl dann gegeben?“

Captain Uzun schwenkte den Gin abwesend und horchte tief in sich hinein bevor er antwortete.

„Man kann einer Einsatzgruppe nicht alles aufbüren. Meine Einschätzung war, dass die Gefahrenabwehr und Sicherheit der Mission diesen Schritt nötig machen würde. Und ich denke, der Sergeant wäre auch zu dem Schluss gekommen. Schließlich verlange ich vom Team, dass sie Entscheidungen zu treffen bereit sind. … Deshalb wollte ich das auf meine Rechnung nehmen. Aber jetzt… Wenn ich die Uhr zurück drehen könnte, würde ich es tun.“

„Denken sie, es gibt ein Disziplinarverfahren?“

Captain Uzun schüttelte den Kopf und sprach weiter: „Die Sache ist zu groß, der Tod zu unbedeutend, die Umstände zu dunkel.“

Lance schnaubte kurz mit einem halben Grinsen: „Hrm, willkommen in einer Welt aus Scheiße.“

„Gott, ja. Ich komm schon damit klar, Lance. Kommt gerade nur,… hart rein.“

„Das Team hat den Befehl doch ohne zu zögern ausgeführt. Haben sie nicht selbst gesagt, mit Operative Z gibt es ein gutes Korrektiv im Team? Und mit Operative R eine professionelle Meinung mit Offizierserfahrung vor Ort?“

„In einer Führungsposition können sie den Ball nicht einfach so zurückspielen, Lance. Die Operative ist nicht mehr die, die sie bei Knock and Talk oder davor war. Wir verlangen Anpassung und Engagement, das weit über das übliche hinaus geht. Auch für militärisches Personal und erst recht für halb-ziviles. – Egal, es ändert nichts. Eine Fehlentscheidung, mit der ich klarkommen muss. Und je schwerer es mir fällt, desto leichter fällt es hoffenlich dem Team.“

„Ich glaube, die Sache ist es wert gewesen, Sir. Ich habe keinen Zweifel an ihrer Führungskraft.“

Captain Uzun nickte knapp.

„Wie geht es jetzt weiter, Captain?“

„Drei Einsatzkräfte begleiten mich nach Tokio. Operative R wird die Adjutanz von der Landevorbereitung in Kiruna wieder aufnehmen. Das ist sehr gut. Ich nehme an, das Central Command wird mich weiter als Liaison für den Kunden behalten wollen. Was immer passiert, es muss in das Pazifikszenario eingepasst werden. Wir können ja nicht alles auf einen Joker setzen, den wir gezogen haben. Die Japanische Allianz braucht Reaktionspläne für alle möglichen Ausgänge. Das muss mit CCOM und den Partnern entwickelt werden. Ich möchte, dass sie, Lance, sich soweit möglich den Schreibtisch frei halten für taktische Planung und nachrichtendienstliche Verwertung, sobald wir wissen wohin wir uns entwickeln wollen. Patrickson habe ich zugesagt, dass wir die zehnte AEF nicht außen vor lassen wenn es heiß wird. Sobald wir die Freigabe für einen Planungsstab für den Folgeeinsatz der SFG 77 haben, richten sie die Einsatzzentrale auf der Cassiopeia ein. In meiner Stellvertretung, wenn ich noch in Tokio gebunden sein sollte.“

„Danke Sir. Selbstverständlich. Was ist eigentlich mit Operative N?“

„Unklar. Diese Simsense-Technologie ist ein Teufelszeug. Wir können froh sein, dass wir Operative Z nicht in diesem nicht genehmigten ‚Brain Dive‘ verloren haben. Ich hoffe mal, Operative N landet schneller wieder auf den Füßen als sie. Auf seine Kompetenz können wir nur schwer verzichten. Das haben wir gerade eben wieder erlebt. Elektronische Kriegsführung und intime Kenntnisse von Sicherheitstechnik hätte noch weitere Optionen eröffnet.“

„Und der Corporal?“

Uzun seufzte und hob die Augenbrauen: „Sankta Dominga.“

„Die Fake-Inseln für Superreiche?“

Der Captain schwenkt das Glas zu einer leeren Geste: „Manche brauchen einen Psychiater, andere eine Mini-Bar. Wie er seinen Urlaub nimmt, geht mich nichts an, solange er die Einsatzbereitschaft erhält.“

Lance schüttelt mit einem fetten Grinsen den Kopf: „Sankta Dominga. Die geleckten Sternchen werden ja jubeln, wenn er sein Handtuch am Strand ausrollt.“

Der Captain brachte nur ein schwaches Nicken zustande.