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Reaktivierung

Mike hatte wieder einen dieser Momente, in denen er irgendwie neben sich stand und die Dinge einfach zu schnell passierten. Gedanklich war er noch nicht in der Gegenwart angekommen. Er schaute auf die zwölf uniformierten Portraits an der übergroßen Trideowand. Einige sprachen über wichtige Dinge, das teilte Mike eine innere Stimme mit. Und sie sprachen zum Glück nicht zu ihm, sondern zu Captain Uzun, der hier im Übertragungsraum den zwölf Offizieren Rede und Antwort stand. Mike und Specialist Lance saßen am Katzentisch, zwei Meter entfernt, bereit aufzuspringen, zu nicken oder Daten anzureichen, wenn man sie aufforderte.

Mike wunderte sich. Sprach man nicht über eine Rettungsmission? Recovery SFG 77? Aber irgendwie hatte sich das Thema plötzlich gewandelt. Er schielte nach rechts, zu Lance. Ihre Augen waren konzentriert auf Uzun und sie nickte. Scheiße. Sie war am Ball. Mike rieb sich mit der Hand das Gesicht und kniff die Augen zusammen. Was war hier gerade los?

Uzun: „Ich habe die Mahnung des Central Command verstanden und ich versichere ihnen, dass es niemanden gibt, der sich den überlangen, unklaren Operationsstatus der SFG 77 mehr zu Herzen nimmt als ich. Ausschlaggebend ist aber an dieser Stelle, dass es dem Team gelang, hochbrisante, politische sowie militärische Informationen im verdeckten Einsatz zu beschaffen. Von Anfang an war die Möglichkeit gesehen worden, unkonventionell und abgeschieden von der Operationsleitung zu operieren. Die spezielle Natur dieser Anforderung spiegelt sich in meiner Einsatzdoktrin wieder. Und die Früchte ernten wir gerade in diesem Moment.“

Mike überlegte: Waren Einsätze ohne Anbindung zur Operationsleitung von Anfang an vorgesehen gewesen? Es hieß immer „unkonventionell“, aber was genau bedeutete das eigentlich?

Uzun: „Es ist sehr glücklich, dass die SFG 77 vor einigen Stunden unverzüglich eine Geheimhaltungseinstufung für Daten und Zeugen mit Priorität verlangt hat und Lieutenant Ortell sofort zur Kooperation bereit war. So konnte die Reaktivierung der Einheit umgehend beantragt werden und wir können die neuen Erkenntnisse sofort operativ nutzen.“

Mike nickte roboterhaft auf einen Seitenwink des Captains hin. Ihm fiel auf, dass Captain Uzun gar nicht erwähnte, dass man Lieutenant Ortell umgangen hatte. Uzun hatte bildlich gesprochen mit einer eilig erwirkten Geheimhaltungsstufe vor dem Gesicht des Lieutenant herumgewedelt und er musste seine Leitung über die Rettungsmission aufgeben. Mike hatte die Logdaten dafür frisiert, so dass Lieutenant Ortell als Schwachkopf dastand, der seine Mailbox nicht richtig bedienen konnte. Aber andererseits, dachte sich Mike, war das vielleicht auch gut so. So wie die SFG 77 im HQ Moskuwa aufgeschlagen war, hatte sie sich direkt und unverzüglich an Uzun wenden können. Das hätte auch anders laufen können. Lieutenant Ortell gehörte zu denen im Stab, die Uzun auf den Tod nicht leiden konnten – also etwa zur einen Hälfte der Offiziere an der Trideowand. So wie es in Moskuwa abgelaufen war, hatte man Ortell schlichtweg direkt umgangen. Das dürfte einigen gar nicht gepasst haben. Aber so wie es gelaufen war, war es wohl auch gut. Die SFG 77 hatte schon genug Probleme. Auf firmeninterne Politik konnte man gut verzichten.

Uzun fuhr fort: „Aus dem, was ich bisher an Daten sichten konnte, habe ich einen eiligen Reaktionsplan erarbeitet. Sie erhalten die Datei soeben digital. Es handel sich um die Komposition einer Task Force Landfall. Aufgrund großflächiger, exterritorialer Gebiete mit prekärer Sicherheits- und Gesundheitslage im Zentrum des Nordostens von Dahomey sehe ich eine massive Luftpräsenz als primäre Notwendigkeit für den Auftakt einer Bodenmission für AIM. Wie sie sehen, gehe ich von einem kleinen Brückenkopf aus, der im Wesentlichen vom Golf von Guinea aus geschlagen wird.“

Mike leitete die Dateien an die Offiziere weiter. Interessant war der Begriff „eiliger Reaktionsplan“. Mike hatte bereits seit Wochen unter der Hand für Uzun an einer Szenariosimulation für diese Task Force Landfall gearbeitet. Jetzt zog er sie einfach aus der Tasche. Die Offiziere nickten beeindruckt, manche hoben die Brauen. Eine Mittfünfzigerin mit Sternen am Kragen blickte über die Brille zu Uzun:

GEN: „Ich bewundere ihren krankhaften Ehrgeiz. Sie schlagen einen Brückenkopf gut 700km von der Küste entfernt vor?“

Uzun: „Richtig. Unseren vorläufigen Aufklärungsinformationen zufolge liegt im Bereich um den Tawani-See der Kern aller relevanten Ereignisse. Dort treffen die Akteure aufeinander, da ist Potential, um in die Neuordnung einzugreifen.“

GEN: „Eine Neuordnung welcher Art? Soweit ich informiert bin, sind die Ergebnisse der Feldaufklärung durch die SFG 77 weder mit unserem Nachrichtendienst noch der politischen Abteilung abgestimmt. Was genau wollen Sie da neu ordnen, Captain?“

Uzun: „Danke, General Falcon, dass Sie auf diesen zentralen Punkt hinweisen. Seit Anfang Oktober steht die Geschäftsleitung unter enormen Druck, einen Vertrag gegenüber einem Land erfüllen zu müssen, ohne dabei fundierte Informationen aus erster Hand über die genauen Hintergründe der aktuellen Krise zu besitzen. Ich denke, wir erinnern uns alle daran, wie die Bloßstellung unserer CEO auch zu uns durchregnete. Die aktuellen Informationen aus Hand der SFG 77 zeigen die Vielschichtigkeit der Krise auf und identifizieren nun ganz klar terroristische Gruppen als Mitverursacher. Wenn wir hier gezielt eingreifen, das sehen sie sicherlich aus den vorläufigen Daten, können wir uns selbstbewusst und mit klarer Strategie als Akteure auf dem Festland ins Spiel bringen. Dann kommen wir endlich aus der rufschädigenden Zwickmühle raus. Und ich möchte betonen, dass wir für eine Task Force Landfall gegenwärtig nicht einmal ein Mandat von Dahomey selbst bräuchten.“

GEN: „Das zu entscheiden, übersteigt ihren Horizont, will ich meinen.“

Uzun: „Sie haben recht General. Ich bitte sie daher, dass mein Team unverzüglich damit beginnen kann, einen Brückenkopf im Krisengebiet vorzubereiten. Ich schlage die Formierung der Task Force Landfall als Vorbereitung einer Landstrategie vor. Sobald CCOM und das Policy Board dann ihre Gesamtstrategie mit den neuen Aufklärungsdaten ergänzt haben, können wir uns vor Ort ins Spiel bringen und dort intervenieren, wo es mit der Firmenpolitik im Einklang steht. Denn eines ist klar: Seit Wochen blockiert uns die fehlende Landstrategie und diese blinde Vertragserfüllung im Rahmen der Seeblockade kostet uns täglich Aktienwert und Reputation. So kann es doch nicht weitergehen.“

Mike stimmte dem Captain zu. Es war nicht schön für ein Land, den Warenstrom militärisch durchzusetzen, während man nicht wusste, ob der Kunde im Inland seine eigene Bevölkerung absichtsvoll verhungern lässt. Und mit dem Reputations-Argument hatte Uzun nun auch die Trumpfkarte gespielt. Die zwölf Offiziere des CCOM blätterten durch die digitalen Berichtsseiten, einige murrten, manche rieben sich die Augen, andere nickten. Dann schauten elf der zwölf zu General Falcon. Für kurze Zeit wurde der Audiokanal blockiert und der Stab besprach sich intern. Als der Kanal wieder offen war, sagte General Falcon:

GEN: „Konsolidieren Sie ihre Einheit vor Ort und warten Sie ab, bis das Policy Board gemeinsam mit dem CCOM eine Strategieentscheidung getroffen hat. Wir werden ihrem Vorschlag folgen und Task Force Landfall in Dienst stellen, vorerst jedoch auf das Kommando- und Luftwaffenelement begrenzt. Colonel Kalika wird das Kommando über die Task Force übernehmen. Sie, Captain, übernehmen die Koordination der Spezialeinsätze. Der Großteil der von ihnen vorgeschlagenen Lufteinheiten muss von Task Force Guinea abgezweigt werden. Koordinieren sie das, damit es kein Chaos gibt. Wir haben nur begrenzt Ressourcen zur Verfügung. Es ist ihnen vorerst untersagt, Bodentruppen abzusetzen oder Luftraum zu durchqueren, der von Mercenary Incorporated oder Nigeria militärisch kontrolliert wird.“

Uzun nickte bestimmt.

GEN: „Und, Captain, ohne einen Partner vor Ort wird sich dieser Plan, den sie angeregt haben, nicht verwirklichen lassen. Die Übergangsregierung in Lome blockiert jeglichen Vorstoß unsererseits, im Norden des Landes einzugreifen. Selbst wenn wir mit völkerrechtlichem Mandat einseitig in das Szenario eingreifen, haben wir damit zwar eine Menge zu tun, aber keinen Kunden, nach dem die Geschäftsführung verlangt. AIM MATTERS hatte die Aufgabe, einen Partner zu gewinnen, der uns ins Land holt und Dahomey davon überzeugt, dass wir zumindest in einem begrenzten Umfang Partner am Boden sein sollen.“

Uzun presste die Lippen etwas aufeinander und nickte erneut, diesmal etwas weniger bestimmt.

GEN: „Sehen sie also zu, dass alle Informationen, Beweise und Zeugen so schnell wie möglich in unsere sicheren Hände gelangen und potentielle Partner vor Ort identifiziert werden. Miss Clark hat sich ja eigenwillig ins Land geflüchtet und ist immer noch in Moskuwa. Sie hat Instruktionen, wie mit solchen Partnern umzugehen ist. Binden sie sie ein. Wenn sie sich dort schon an ihrem Strohhalm festklammert, kann sie sich auch nützlich machen. Das ist alles. Sie können wegtreten, Captain.“

Ein kurzer Austausch von Saluts und die Verbindung war getrennt. Mike schaute zu Lance und flüsterte:

„Geht’s jetzt los?“

Die Specialist hob nur eine Augenbraue und machte sich mit Unterlagen unterm Arm auf den Weg um Uzun zu folgen. Mike blieb etwas ratlos zurück, nachdem er den virtuellen Besprechungsraum geschlossen und abgewickelt hatte. Was bedeutete das jetzt für ihn eigentlich? Er beschloss, ersteinmal direkt zum Host-Terminal zurückzukehren, Zoé oder jemand anderen ans Terminal zu bekommen und den neuesten Tratsch ins Feld zu bringen!

Coppers Gedanken

Copper sitzt ein paar hundert Meter abseits des Steinrings im noch viel zu warmen Sand der untergehenden Wüstensonne. Gedankenverloren bürstet er den Sand von seiner Melone, ein viel zu modernes Scharfschützengewehr vor sich auf einer Tasche liegend…
Das Einzige, das ihm eingefallen war, als der Lt. ihm die Waffe geschenkt hatte, war ein ‚Hm… Danke Sir!‘ Dann war er mit hochgezogener Augenbraue gegangen, an den Punkt in der Wüste wo er jetzt saß…
Was stimmte nur nicht mit diesen Spinnern von der SFG? Die hatten doch alle ein Rad ab. Keiner von denen hatte wahrscheinlich je die Dienstverschriften gelesen, oder auch nur ein Gesetzbuch in der Hand gehabt. Eine Bande von Kriminellen in einem Land voller Primitiver. Dieser Franzmann-Leutnant war ein Witz als Offizier, diese Gnomin ein Scheiß Straßenpunk, der schwarze Elf ein rückgratloser Psycho, und der Ork, naja, eben einer dieser primitiven Europäer. Ein Haufen Störfaktoren, die unbedingt aus der AIM getilgt werden müssten. Es gab nicht eine Vorschrift, gegen die sie nicht verstoßen hatten in den letzten Monaten. Nicht eine! Und dann musste er auch noch mit dieser Straßengang bei irgendeinem Fliegendreck auf der Generalstabskarte ein gottverlassenes Geisterdisneyland befreien. Was sollte das überhaupt mit diesen ganzen Idola und dem Land, warum musste ausgerechnet er da rein geraten? Sowas war was für Nigger und Rothäute. Und dann schenkt ihm dieser Abziehbildkommandant auch noch eine Tuntenwaffe, das Zielfernrohr größer als die Knarre, das Gewicht eher für nen Rückenkranken 13-jährigen und ein Kaliber, das nur jemandem einfallen konnte, der einen zu kleinen Penis hatte…
Sein Leben war so schön einfach gewesen, als er noch in Texas war. Er lässt sich den Sand zwischen den Fingern hindurch rieseln. Eigentlich, dachte er sich, war der Sand fast wie in Texas. Eigentlich brannte die Sonne fast wie dort. Dann fällt sein Blick wieder auf das Gewehr. Eigentlich war das Gewehr gar nicht so übel, Immerhin konnte man damit bei nem Rodeo auf 2000 Yards dem Hengst die Eier abschießen. Und diese Spinner von der SFG waren ein Haufen, auf den man sich echt verlassen konnte. Und sie machten ihr Ding, die Aufträge liefen… irgendwie, das musste man ihnen lassen. Und das Land hier? Diese Schwarzen hatten Stil. Eine Kultur, die tief ging, anders eben, aber vielleicht sogar besser als daheim, älter auf jeden Fall. Das machte schon Eindruck. Und so wie der Sand anders aussah als daheim, so wie die Sonne anders schien als daheim, waren irgendwie auch die Vorschriften anders als daheim. Sogar die Schwarzen waren anders als daheim…
Dann sah er plötzlich Zoe mit zwei Schwarzen auf Patrouille aufbrechen, er kannte die Namen von beiden, nette Kerle. Besonders der Touareg. Es war einer von denen gewesen, die oben auf dem Orakel gelegen hatten, als Späher. Dann lachte er schief auf…
Eigentlich war nur er anders als daheim.

Aber Uzun, den hasste er immer noch!

Die Riesin

Operation Primordial Prophet war mit der erfolgreichen Verteidigung des Sandorakels gerade eben zuende gegangen. Zwei Tage war es vielleicht her. Hier, am Rand der Großen Wüste, war es schwer, sich an einen Kalender zu halten. Es war so, als rufe die Weite des heißen Sandes aus dem Norden beständig nach allen Herzen im Sandorakel. Im Gegensatz zu den hier heimischen Menschen, war die SFG 77 dieses Rufen nicht gewohnt. Es war eine Verheißung der Großen Wüste, dass dort, bereits nach wenigen hundert Metern, das alte Leben mit der ersten großen Düne verschwinden würde. Die Weite verschlingt alles. Ein neues Leben, ein radikal anderes Leben.

Seit Monaten sah sich die SFG 77 der Versuchung ausgesetzt, das Bekannte über Bord zu werfen, alles zurück zu lassen und sich selbst neu zu erfinden. Im Guten oder Schlechten. Vielleicht war das die schleichende Wahrheit der Worte gewesen: „Du wirst das Land nicht verändern, das Land verändert dich.“ Was genau wird passieren, wenn die Gruppe eingeschworener Soldaten den Weg zurück aus dem Labyrinth Dahomey findet? Was wird zurückbleiben, was wird sie mitnehmen? Auch wenn über niemand anderen als Negative diese Frage so intensiv schwebte, so galt sie doch für alle. Und hier, am Rande der Wüste, schien ein Tor zu einer gänzlich anderen Welt. Nicht mal im Tal der bunten Steine waren Zoé, Norge, Copper, Régicide und Negative so weit fort vom alten Leben gewesen.

Und Zoé steht auf der nördlichsten Düne und sieht in die Weite.

Zwei Männer begleiten sie auf diesem Patroulliengang in der Abenddämmerung. Ein Fulbe und ein Tuareg. Der Himmel glüht rot und mischt sich mit kühlem Blau der aufziehenden Nacht. Der Wind ist warm und doch kühlt er. Sand streicht sanft über die Dünen, treibt sie mit unendlicher Langsamkeit nach Süden, um irgendwann einmal alles zu verschlingen und den Kontinent ins Meer zu stürzen…

Da vorn, eine rasche Bewegung, hundert Meter voraus in der Senke! Die Männer greifen die Waffen fester und gehen in die Hocke. Zoé kneifft die Augen zusammen. Es ist einer der Wildhunde, die seit dem Aufstieg aus dem Sandorakel das Gebiet umstreifen. Bisweilen mit Dingo an ihrer Spitze. Doch dieser dort ist allein. Mit einem leichten Gang und fleckigem Fell scheint er geradezu aus der Düne gesprungen. Die dunklen Augen bohren durch die hundert Meter und sehen Zoé an, während der Hund sich federnd von ihr entfernt. Zügig erklimmt er die gegenüberliegende Düne und auf der Spitze hält er inne, kehrt sich um, und schaut zu Zoé zurück. Dann verschwindet er jenseits des sandigen Berges. Zurück bleibt eine Spur aus Pfoten, wie eine Perlschnur aufgereiht.

Der Hund, der Blick, der Himmel, der Wind… Zoé schaut zurück und auch ihre Begleiter haben es gemerkt: hier ist etwas nicht normal. Etwas Seltsames ist im Gange. Fulbe und Tuareg schütteln sachte den Kopf und fassen die Waffen enger. Wortlos ziehen sie sich zurück. Sie scheinen zu spüren, dass hier etwas intimes passieren wird. Ehe sich Zoé versieht, ist sie dem Hund auf der Spur, das Herz klopft an den Hals.

Man wird vielleicht nie erfahren, was Zoé dachte, als sie die Kerze im Sandorakel entzündete. Man wird daher vielleicht auch nie erfahren, warum Zoé so etwas wie Erleichterung empfand und es ihr danach war, zu lachen, als sie die Düne erklomm. Sie wusste genau, dass ihre Stimme im Sandorakel durchgedrungen war. Etwas war da draußen, sie war da draußen. Und von allen die in Frage kamen, war es die Kleinste, die zu ihr eine Brücke hatte bauen können.

Als Zoé über die Düne kletterte, war sie nicht überrascht: der Hund war verschwunden und die Spuren verblassten langsam im Sand. Sie war allein, inmitten der Wüste. Hätte sie funken sollen? Da war diese seltsame Gewissheit, dass alles seine Richtigkeit hatte. Der Gedanke an das Funkgerät kam Zoé seltsam entrückt in den Sinn, so, als wenn sie sich selbst auf einem Trideoschirm betrachten würde – und für die Heldin auf der Leinwand nur einen symphatischen Rat übrig hatte.

Als der Wind begann sich um sie zu schaaren, sich zu bündeln und einen Trichter zu formen, da setzte sich Zoé hin, denn sie war nicht sonderlich schwer und der Wind wurde stärker. Der heiße Wind auf den Wangen des Abendrots war eine zärtliche Berührung. Es war keine Überrachung mehr, als eine trollgroße, flimmernde Gestalt aus Sand, Hitze und Wind Form annahm und die stimme Atras an Zoés Ohr erklang:

„So lange fort, so lange kein Band. Und die Kleinste wird zur Riesin und beugt sich über den Radius der Welt, damit ich sie auf der anderen Seite endlich sehen kann, in einem Labyrinth aus Licht und Schatten. Dein Feuer hat mich geführt zu Dir, denn es brennt mit dunkler Tiefe. Wie ein Brummen unter den Grundfesten der Erde, entkommt es aus dem grellen Feuer der erwachten Welt, in der Du verloren treibst.“

Das heiße Glimmen ihrer Worte im Ohr gewinnt an Schärfe, fast kann Zoé den scharfen Vorwurf auf der Haut spüren, die empörte Wut, die schon einmal aus Atra gesprochen hatte. Damals, als Régicide ihr sein selbstgewähltes Bild gezeigt:

Er aber wieder, gerade er, der meine Nähe sucht, brennt im hellen Feuer des öberflächlichen Brandes und lodert so vor sich hin – und erreicht mich doch nicht. Und Törichtes hat er getan. Oh, so töricht, dass es mir den Schlaf raubt, den ich nicht kenne. Ich habe die Vorsehung erfahren, als Du Dich als Riesin zu mir gebeugt hast. Ich konnte es fühlen, aber nicht greifen. Sag mir, was hat er getan, das mich so unruhig sein lässt?“

Zoé folgt den Worten der Erscheinung und als sie vielleicht antworten will, setzt Atra plötzlich in Eile nach, die Stimme nun wieder sanft und in besonnenem Ton konzentriert:

„Es hilft nichts. Meine Zeit bei Dir ist zu kurz. Es liegt in deiner Hand. Lasse ihn nichts törichtes tun. Halte ihn ab, halte ihn auf! Ich kann nicht länger an diesem Ort bleiben. Gleich wird es dunkel und wir sind getrennt. Höre daher zu, was ich Dir wichtiges sagen muss:

Der Feuergott unter dem Meer ist nicht mehr. Er hat seinen Thron verlassen. Und niemand weiß, wo er nun ist. Du musst das Labyrinth verlassen, aber trete vorsichtig mit dem Fuß. Überstürze nichts. Vielleicht ist er auch auf dem Weg hinein, also gehe behutsam hinaus. Du bist die Riesin, die Einzige, die ihn …“

Glutheißer Sand trifft Zoé im Gesicht, als die Erscheinung mit einem scharfen Zischen explodiert. Atras Kraft war verbraucht, die Distanz zu groß, die schüchterne Brücke zur Riesin eingestürzt.

Zoe ist völlig überwältigt von den Eindrücken, der eindringlichen Stimme Atras, ihren Warnungen und der Nähe die da für einen Moment hergestellt war. Ihre Worte beim entzünden der Kerze wurden gehört! Und irgendwie hat sie in der Gestalt auch für einen Moment Brick – oder was immer er auch jetzt war – sehen wollen. Zoe hofft, dass er einfach seine Erlösung gefunden hat, aber Atras letzte Worte beunruhigen sie. Warum konnte der Kontakt nicht einen Moment länger gehalten werden? Sie hätte noch so viele Fragen gehabt. Plötzlich ist da so viel Verantwortung, so viel Unausgesprochenes, so viel Einsamkeit. Aber auch Hoffnung. Es gibt in dieser gottverlassenen Gegend eine Verbindung zu Altbekanntem. Eine Anleitung, wenn auch noch so unklar. Eine Sicherheit, die Zoe lange nicht mehr gespürt hat. Sie blickt erst einmal wieder in die Ferne der Wüste, die für einen Moment nicht mehr existiert hat und versucht klare Gedanken zu fassen.

Was hat Atra gemeint, als sie von Régicide sprach? Zumindest musste sie ihn gemeint haben… Zoes Gedanken gehen zu den Schnittwunden die er sich zugefügt hat, als er die Schnitzerei auf dem Rock der Idola auf seine eigene Haut übertragen hat. Hat er anstelle etwas zu geben, etwas genommen was nicht ihm gehört? Hat er sich etwas verschrieben, ohne es zu verstehen? Sie hatte die Geste nicht verstanden, aber das erschien ihr auch nicht für nötig. Bis jetzt, wo die warnenden Worte an ihr Ohr drangen.

Zoe versucht sich zu orientieren, den Weg zurück zu ihren Begleitern zu finden. Im geschützten Lager will sie wieder ein kleines Feuer entzünden und in sich gehen. Sie muss darüber nachsinnen, was Atra ihr mitteilen wollte. Wäre es klug, Régicide direkt von dieser Erfahrung zu berichten, oder war es Atras Wunsch, ihn auf seinem Weg zu begleiten und zu lenken, ohne ihm die bitteren Worte direkt weiterzugeben? Zoe sollte ihn aufhalten, aber auch nichts überstürzen. Es musste also den Moment Zeit geben, sich erst einmal klar zu werden.

Kontrast

Mit dem Erreichen der Orakelhalle im Zuge von Operation Primordial Prophet war eine Stunde der Abrechnung gekommen. Am Ende eines Weges, der vor fast zwei Monaten in Afrika begonnen hatte, stand die SFG 77 nun an einer Zäsur, an der die vergangenen Taten gewogen werden sollten.

In der zentralen Kammer des Orakels konnten Zoé, Norge, Copper, Régicide und Negative zur linken wie zur rechten Hand betrachten, welche ihrer Taten in den vergangenen Wochen den dunklen oder den lichten Idola zugespielt hatten. Neben so manch bedrückenden, peinlichen oder auch unverschuldeten Hypotheken zu Gunsten der Schwarzen Idola, erleuchteten am Ende vier Figuren überwiegend in einem warmen, hoffnungsvollen Ton einer orangefarbenen Morgenröte. Von den ersten Tagen in Moskuwa an, waren die Taten der SFG 77 auf ein positives, ein helfendes Wirken hin ausgerichtet gewesen. Fehler wurden begangen, doch auch bereut. Was nicht rückgängig gemacht werden konnte, wurde durch gute Taten aufzuwiegen versucht. Doch wer war hier die urteilende und richtende Instanz gewesen?

Das in der Erwachten Welt, die Welt der Großkonzerne, der optimierten Ausbeutung, relativen Werte und der Aufhebung bisher bekannter Definitionen von Menschsein, ausgerechnet in Afrika eine Instanz existieren sollte, die eine Spur universeller Moral versprach, mochte manche überraschen. Doch lag darin nicht auch ein unerhörtes Versprechen, das nur die „Wiege der Menschheit“ geben konnte? Fast eine Art Offenbarung? Was würde mit der Welt passieren, wenn die Einwohner von Seattle, Denver, Paris oder London das Privileg bekommen könnten, das der SFG 77 mit dem Besuch des Orkales zuteil geworden war?

Die vier Idola der SFG 77 blieben überwiegend stumm, wussten sich aber durchaus mitzuteilen. In der zierlichen Gestalt eines sechsarmigen, asiatischen Mädchens hatte Norge Miru gefunden, und ihr ein Werkzeug universeller Vernetzung und Kommunikation geopfert. Wieder war die Radio Sorceress Zeugin gewesen. Wer wollte behaupten, sie wäre ein schlechterer Fetisch, nur weil sie es verstand, auf andere Weise eine Verbindung herzustellen, als es die Schamanen für gewöhnlich tun?

Copper hatte sich die Aufmerksamkeit einer dunklen Kraft zugezogen, die sich in Gestalt der entarteten Afkarasar zeigte. Vielleicht lag der Grund für die beharrliche Ausdauer, mit der diese Idola der SFG 77 nachstellte, aber nicht nur an ihm. Denn auf dem Weg der Abrechnung, der zu den vier Figuren geführt hatte, war eben auch ein dunkler Ton der Gewalt an allen hängen geblieben. Coppers Opfer wirkte rückblickend vielleicht etwas verzweifelt, denn es war ein Auflehnen gegen Afkarasar – zugleich eine Absage gegen einen Teil seiner Vergangenheit. Aber konnte er darauf hoffen, Afkarasar mit dieser Geste aus dem Kreis einfach auszuschließen? Man kann sich böse Geister ja nicht einfach aussuchen oder wegwünschen. Sie hängen den eigenen Taten nach. So gab Afkarasar Copper das stinkige Versprechen, das man sich wohl wiedersehen würde, so oder so. Gleichzeitig war die blutige Idola des rauchschwangeren Feuers auf ihren Platz verwiesen worden.

Für Zoé und Régicide war es die einer Kolossalstatue nachempfundene Gestalt einer verschleierten Frau mit Feuerhaar, die sofort gewisse Assoziationen weckte. Das Konzept dieser Idola wirkte so vertraut, aber gleichzeitig so formlos und unfassbar. War es die Idola Silah, oder der Gott Mazda, das Rauchlose Feuer oder gar die seltsame Frau Atra? Feuer schien ein verbindendes Element, und so zeigte das gemeinsame Opfer eine Wirkung. Régicides elementarer Funke und die Gabe an Zoé veränderten etwas. Die unmittelbare Wirkung blieb, neben einem Hauch an Zoés Ohr, scheinbar aus. Aber blieb die Gabe wirklich wirkungslos? Zoé sollte darüber alsbald mehr herausfinden…

Régicide nahm die Gelegenheit beim Schopfe und tauchte in die Keilschriftschnitzereien der Idola ein. Dort fand sich auf dem Rock dreiunddreißig Mal die gleiche Phrase geschrieben, wenn Régicide sich nicht geirrt hatte. Es war eine markante Kette von Kerben. Sie begann und endete mit einer identischen Form. Régicide ging so weit, sich die Markierungen in seinen eigenen Unterarm zu schneiden. Selbst wenn die Zeichen keine Bedeutung gehabt hatten, so hatten sie jetzt auf jeden Fall eine erhalten. Doch was bedeuteten die Zeichen?

Dann war da natürlich die Stele der Idola Andikan, deren Schild Negative aufgenommen hatte. Und dies bereits sehr viel früher, als zuerst vermutet. Negatives Begegnung mit Andikan war eine unvermeidliche Auflösung gewesen, etwas, das bereits seit vielen Jahren im entstehen gewesen war. Mit einer einfachen Geste war Negative in der Lage gewesen, die Hand seiner Idola zu ergreifen, die in Gestalt seiner jungen Großmutter Kakuve aus dem Götzenbild trat.

Schon seit langer Zeit fließt das Blut Andikans in Negatives Blutlinie, bisher stets von Mutter an Töchter und Enkelinnen vererbt. Und als Kakuve vor einigen Jahrzehnten Afrika verlassen musste, da musste sie zuviel zurücklassen – gleichzeitig nahm sie jedoch zuviel mit. Ein böses Omen begann sich auf die Familie zu legen. Der Beginn einer sich sammelnden Schuld, aufgetürmt von einer Idola im erwachen.

Kakuve schilderte Negative in der Orakelhalle, dass sie immerzu versucht habe, ihn vor der Missgunst Andikans zu bewahren. Doch was immer Kakuve versucht hatte, es endete stets damit, dass sich Kakuve vor Andikan mehr und mehr verschuldete. Kakuve stand für Negative ein, sie schützte ihn und versuchte ihm zu helfen. Doch es war zum scheitern verurteilt. Es waren Dinge wie Negatives Ignoranz gegenüber den eigenen Eltern, die Geringschätzung der Erwachten Welt und die Vorbehalte gegenüber der Magie, seine Abkehr von Frau und Kind, sein Versagen im Versuch sich als Gründer zu betätigen, sein Ausscheiden aus dem Militär … Davon berichtete Kakuve, und sie sagte, mit jedem vermeintlichen Scheitern, habe sich der Groll Andikans gegen sie vermehrt.

Erst später, als Negative das erste Mal nach Afrika ging, hatte Kakuve erkannt, dass sich Andikan entgegen der uralten Tradition durch einen männlichen Nachfahren manifestieren wollte. Und Kakuve hatte es nicht geschafft, dieses Band zu verwirklichen. So stand Negatives Reise unter einem Fluch, gewirkt aus Kakuves Hand. Sie hatte ihn missgünstig entlassen aus ihrer Obhut als Schamanin seines Blutes. Er sollte als Spielball des Schicksals dem Willen der numehr entarteten Andikan in Afrika willfährig sein – und Kakuve endlich Frieden in dieser Sache bringen. Dann kamen Negatives Monate der Dunkelheit als Sklave im Dienste fremder Mächte. Kakuve hatte nicht mehr mit seiner Rückkehr gerechnet.

Seine Rückkehr kam jedoch, und damit auch Reue in Kakuves Herz. Doch es war zu spät. Erst mit ihrem Tod sollte der Weg beginnen, der Negative in das Herz seiner Herkunft und zu Andikan führen konnte.

Mit dem Fetisch seiner Großmutter und ihren sterblichen Überresten im Gepäck, nahm Negative das Ritual des Übergangs auf, ohne es ahnen zu können. Und doch hatte es ihn schon lange vorher, auf der Shigeruu und in Manila, dazu unausweichlich gedrängt. Die ersten Begegnungen mit Andikan waren rauh, verwaschen und gewaltsam gewesen. Der kleine Diener am versunkenen Panzer hatte ihm zuerst die Hand gereicht. Doch Negatives unbedachter Griff zu einem BTL-Chip der Afkarasar veranlasste, dass sich eine Schwarze Idola vor eine andere schob. Der Berg mit der Göttin auf der Spitze war nicht der Ruf nach willkürlicher Gewalt, sondern nach Ordnung und Unterwerfung um jeden Preis. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, wie sich ganz am Ende zeigen sollte.

Die komplizierte, widersprüchliche und vielleicht sogar bedauernswerte Natur der Andikan enthüllte sich Negative deutlicher im Tal der bunten Steine. Die Kraft der Ordnung als Sinnstiftung einer Gemeinschaft, die sich beschützt und sich eine Geschichte gibt, wurde deutlich. Und im Tal der bunten Steine war Negative diesmal Meister und Herr gewesen, nicht willenloser Sklave, wie bei seinem ersten Besuch in Afrika. Das Ergebnis war drastisch und traumatisch für die meisten Beteiligten gewesen. Es zeigte die Natur der Dunklen Idola in ihrer Reinform – und Negatives Gefallen an Macht. Doch auch hier gab es einen Lichtblick. Denn mit Tukka und Rafik zogen zwei Personen aus dem Tal aus, die Negative aus tiefstem, inneren Antrieb heraus zu folgen bereit waren. Trotz alledem.

Als Negative nach vielen Wochen dann sein Schicksal endlich reizen wollte und alles auf eine Entscheidung hintrieb, da lagen dann die Dinge auch viel klarer als zu Beginn. Der kleine Diener der Andikan war ein wichtiger Mittler, der Negative am Wasserfall, gemeinsam mit Tukka und Rafik, hatte wissen lassen, dass Andikan zwei Gesichter trägt. Das eine, das lichte, verabscheuht sie jedoch, aber sie kann es sich nicht herunterreißen. Auch wenn Andikan als entartet galt, konnte sie nicht darüber gebieten, ob Negative sein Erbe in guter oder böser Absicht antreten würde.

Diese Botschaft war vielleicht die bedeutsamste. Und es dauerte weitere Zeit, bis Negative endlich in dieser Orakelhalle stehen konnte, Kakuve ins Gesicht sah und seine Wahl traf. Auf einem erwachten Kontinent mit unermeßlicher Geschichte, mit hunderten von Idola und Tiertotems und Volkgruppen, Familien und Blutsbanden, konnte ein Band zwischen Mann und höheren Mächten nur intim, einzigartig und zutiefst persönlich sein. Und so entschied sich Negative gegen den Willen Andikans dazu, ihre lichte Seite zu umarmen.

Mit der Wahl ihrer versöhnlichen Seite hatte die letzte Etappe begonnen. Die Herausforderung der nigerianischen Prinzessin würde nun Negatives Wahl in die Welt der Sterblichen Übersetzen. Nur der rituelle Kampf kann im Diesseits besiegeln, was in der Welt der Geister bereits entschieden wurde. Dann kann Negative seine neue Maske aufsetzen und die alte abnehmen. Eine Maske der Andikan. Eine Maske im Kontrast.

Rückmeldung

Noch während im Krankenquartier der Siedlung Nakatombe Norge um das Leben der misshandelten Kate kämpfte, verschaffte sich der Rest des Teams Zugang zur Satelittenanlage des Verwaltungsgebäudes. Die mächtige Parabolantenne blinkte stumm dem bedeckten Nachthimmel entgegen und schürte die Hoffnung, dass nicht alle Kanäle nach außen gekappt wurden.

Der ehemalige Siedlungsvorstand Moko Matobou unterstützte Negative dabei, Zugang zum Dach des Verwaltungsgebäudes zu bekommen. Schnell wurde klar, dass die offiziellen Empfangs- und Sendeanlagen im Keller des Gebäudes nicht ohne massive Gewalt zugänglich waren. Daher besorgte sich das Team Lichtleiterkabel und legte vom Dach aus eine direkte Verbindung von der Satellitenantenne zu einer mobilen Transpondereinheit im Keller des Bürogebäudes von DeBeers Omnitech. Die Agrartechnikerin Abita Tómerres hatte ja darauf hingewiesen, dass dieses Equipment vorhanden wäre. Es dauerte gut eine Stunde und brauchte intensive Teamarbeit von Negative und Zoé, bis auf einem flackernden Holo-Bildschirm im düsteren Lagerraum von DeBeers Omnitech eine Liste mit Uplinks und Transponderzustandsmeldungen erschien.

Die Satelittenantenne begann zu surren, als sie den Nachthimmel nach Lebenszeichen absuchte. Die automatischen Suchroutinen erfassten geostationäre Satelliten, deren Transponder entweder mit BLOCKED, OFFLINE oder INSUFFICIENT BANDWITH markiert waren. Private und öffentliche Matrix-Provider waren unerreichbar. Auch reine Simsense- und Trideo-Kanäle schienen nur mit stark reduzierter Bandbreite verfügbar. Doch die SFG 77 suchte ja nach Kommunikationswegen, nicht nach Unterhaltungskanälen.

Negative war sich bewusst, dass AIM im Großraum Westafrika keine dezidierten, eigenen Satellitentransponder unterhielt, weshalb das HQ ja nur über einen stark gesicherten Tunnel durch die Matrix an den Operations Host angebunden war. Ein Tunnel, den man direkt durch das heftig zensierte LTG von Dahomey gegraben hatte. Der SFG 77 lagen keinerlei Informationen vor, ob AIM mittlerweile einen neuen Transponder gemietet hatte oder ob es andere, operative Kommunikationsinstanzen gab. Das mobile Terminal zeigte jedenfalls auch nach ausführlicher Suche keine auf AIM gemeldeten Transponder an. Als jemand den platten Witz machte, dass man ja beim Yutani Customer Support anrufen könnte, fiehl Negative ein, dass es eine öffentliche Trixadresse von AIM für Notfallmeldungen gab. Ein Service, der allen Mitarbeitern in AIM zur Verfügung stand, falls es in Ausübung der Arbeitstätigkeit zu Krisen, gewandelten Sicherheitslagen, Angriffen oder ähnlichem kommen sollte. Jeder Mitarbeiter bekam ja mit dem Arbeitsvertrag so eine Visitenkarte mit der Notfallnummer! Alles was es dafür brauchte, war eine Trideo- oder Audioverbindung in irgendeines der Regional Telecommunication Grids der Welt. Das konnte Negative mit einigen Handgriffen einrichten. Allerdings würde es eine ungesicherte und registrierte Verbindung sein. Eben ein Telefonat wie jedes andere auch. Aber besser als nichts. Die Parabolantenne zeigte knapp über den Horizont, weit nach Osten, wo irgendwo ein Satellit über Zentralafrika das geschwächte Signal gnädig empfing.

Dem Lieutenant kam die Ehre zu, das Gespräch zu führen. Auf dem Trideoschirm erschien das Gesicht eines europäischen AIM-Mitarbeiters:

„AIM Services Employee Support. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Einsatzleiter identifiziert Einheit: 683X8, 907X2, 013Z5, 604X7, 646W4, 546V3, 764Y3, 554Y9, 756V9. Sicherheitslage kritisch. Kontakt zu CCOM verloren. Eine Person KIA. Einheit einsatzbereit. Erbitte weitere Anweisungen.“

Régicide sah in die erwartungsvollen Gesichter der Kameraden während der Mitarbeiter auf dem Trideoschirm mit ernster Miene nickte:

„Bleiben Sie bitte in der Leitung.“

Einige lange Augenblicke vergingen, in denen der AIM-Schmetterling sich unermüdlich im Standby-Kreis drehte und der Mitarbeiter verschwunden war. Dann tauchte das gleiche Gesicht wieder auf.

„Sir, dies ist eine ungesicherte Verbindung aus einer Region, in der AIM Services derzeit keine Notstandsleistungen garantieren kann. Ich habe Ihre Meldung mit Vorrang an CCOM weitergeleitet und bereits Antwort erhalten. Ihre Einsatzleitung ist informiert. Bitte nennen Sie keine weiteren Einzelheiten, die ihr Team, ihre Position oder Zuordnung kompromittieren könnte. Um in Kontakt mit der Einsatzleitung zu treten benötigen sie ein gültiges OHCM, ein Operative Host Cryptographic Module. Für ihr Team ist eines für den Feldeinsatz authorisiert und nach wie vor in Betrieb. Verbinden Sie diese Hardware mit ihrer Fernverbindung und nehmen Sie erneut Kontakt mit einem AIM Host auf. Wenn es ihnen nicht möglich ist, eine gesicherte Verbindung aufzubauen, dann müssen sie sich in ein Gebiet begeben, in dem die Dienstleistungen von AIM Services zur Verfügung stehen. Ich empfehle ihnen Nordafrika oder internationale Gewässer. Kontaktieren sie dann diese Notfalladresse erneut. – Es tut mir Leid, dass ich ihnen unmittelbar nicht weiter helfen kann. Man hat sie auf jeden Fall nicht vergessen und wird auch nicht aufhören auf ihre Rückmeldung zu warten. Ich freue mich, ihre Stimme zu hören und bin mir sicher, dass es ihnen gelingen wird, die missliche Situation zu überwinden. Sie sind also nicht allein. Viel Erfolg, Sir.“

Mehr Informationen waren nicht zu bekommen. Dem Team war klar, wo sich das nächste OHCM befand: im HQ in Moskuwa. Das Stück Hardware dient der Verschlüsselung von Kommunikationswegen nach AIM-Standard. Lena hatte das Gerät in der Nähe der Küche am Matrixterminal angeschraubt, unter einem kleinen Beistelltisch. Immerhin war bestätigt worden, dass die Verschlüsselungseinheit der SFG 77 noch aktiv und authorisiert war. Das machte Hoffnung, dass Lena und Fink im HQ irgendwie die Stellung gehalten hatten.

Später nahm der Lieutenant erneut Kontakt auf und ließ der AIM Services Hotline noch folgende, kryptische Botschaft zukommen:

„Einsatzleiter identifiziert Einheit: 683X8, 907X2, 013Z5, 604X7, 646W4, 546V3, 764Y3, 554Y9, 756V9. Nachricht verbatim für CO. Nachricht beginnt: ‚Sagt dem Chief, von dem Zeug was er und seine Kollegin wollte haben wir das meiste zusammen! Und sagt ihm, die Lady mit der Sonnenbrille hat ihre letzte Lieferung gemacht. Wir machen noch einen Abstecher in Richtung „Heck des Flugdecks“ oder schauen vielleicht beim Anwesen unseres Freundes vorbei. Dass wäre eine gute Gelegenheit, um ein wenig Tee und Gebäck vom Schiff einzufliegen. Wenn das nichts wird, hört ihr von uns wenn wir wieder in der Wohnung sind. Sagt also dort bescheid, dass sie das Licht anlassen sollen. Buffalo forward!‘ Nachricht endet.“

Nachbereitung OP Real Estate

Ein sichtlich erschöpfter und angespannter Captain Uzun meldet sich nach dem Ende der OP Real Estate und den Anschlussuntersuchungen vor Ort bei der SFG 77. Es ist bereits die Nacht zum 10. Oktober 2073. Wahltag im Nordosten Dahomeys. Wahltag in Tembe. Das unermüdliche Team ist bereits dabei, den Einsatzwagen zu beladen und sich noch in dieser Nacht auf den Weg in den Wahlkreis Tembe zu machen. Der Lieutenant gibt Grünes Licht für Operation Stichwahl und den Mitgliedern der SFG 77 die letzten Neuigkeiten mit auf den Weg.

Lieutenant, Sergeants, Chief Miller,

Sie können nicht ermessen was hier gerade in der AIM Außenstelle in Ceuta los ist. Gefühlt ist hier ein Hurricane durchgekommen. Wir hatten gerade einen Notarzteinsatz nach einer Lagebesprechung. Miss Clark und zwei weitere Mitarbeiter wurden medikamentiert und sind jetzt im Ruheraum. … Ich glaube, so einige würden gerade gerne mit Ihnen im Feld tauschen… Aber eines nach dem anderen.

Operation Real Estate war ein enormer Aufklärungserfolg, das zeichnet sich schon jetzt ab. Ich möchte Ihnen zur guten Arbeit gratulieren. Insbesondere die ethnische Landkarte, die Interviews und die Notizen von Evan Choi sind sehr wichtig für unsere Kurskorrekturen.

Der Captain wird etwas düsterer.

Miss Clark hat die „Neuigkeiten“ über Evan Chois Sicht der Dinge mit, ich sage mal: gemischen Gefühlen aufgenommen. Sie hält Evan Choi über weite Strecken für jemanden, der sich zu schnell in Verschwörungstheorien verrennt. Sie hat aber auch zugegeben, dass sie seine Berichte in der Vergangenheit regelmäßig zensiert hat. Sie dachte wohl, ihr Ruf würde leiden, wenn sie die Meldungen über ethnische „Geheimbünde“ und verborgene „Graue Gremien“ im Verwaltungsapparat von Dahomey ernsthaft in die Strategieentwicklungen des Policy Board mit eingibt. Vielleicht hatte sie damit auch nicht so unrecht… immerhin hatten wir bisher keinerlei eigene Augen vor Ort. Jedenfalls hat sich Miss Clark bei mir entschuldigt und ich soll das an sie weiterleiten. Sie räumt ihr Versäumnis ein, warnt aber nach wie vor, zu sehr auf Evan Chois Steckenpferd zu setzen. Nun gut. Schauen wir aber, was wir haben.

Katuso Uzun blendet die Ergebnisse der Auswertung ein:

(1) Wenn die ethnische Dimension in Dahomey so bedeutsam ist, wie Evan Choi glaubt, dann stellt das einen wichtigen Anhaltspunkt für mögliche Motive am Bura-Staudamm dar. Wenn es solche Splittergruppen oder gar rassistische Strömungen gibt, haben die vielleicht Interesse daran, die Regierung zu erpressen und die Regierung möchte das vielleicht auch gerne unter den Teppich kehren. Es macht also wohl Sinn, bei der Suche nach den Tätern am Bura-Staudamm die ethnische Dimension im Blick zu halten.

(2) Das gleiche gilt demnach auch für potentielle Allianzpartner und Verbündete. Die Interviewpartner von Evan Choi geben einen interessanten Einblick in eine Struktur, die wir bisher nicht kannten. Wenn es ethnische – oder sagen wir besser: gruppenbezogene – Sonderinteressen gibt, kann uns das vielleicht nutzen. Welche dieser Gruppen – Hausa, Bariba, Fulbe und so weiter – haben Interessen, die mit unseren vereinbar sind? Bedenken Sie, dass wir nach starken Partnern suchen, die uns die Tür nach Dahomey öffnen.

(3) Dann noch eine andere Sache, die wir bisher nur so als Randbedingung betrachtet haben. Sie haben sicher die aktuellen Nachrichten verfolgt und gesehen, dass die Geschäftsführung unter Druck geraten ist. CEO Walters war nach diesem Interview außer sich, wie uns berichtet wurde. Wir hatten gerade ein Meeting mit dem Büro des Generalsekretärs des Policy Boards und ich möchte ihnen kurz zusammenfassen, wie die großen Dinge da oben mit den kleinen hier unten zusammen hängen. AIM steht enorm unter Druck, durch diese unerwartete Androhung einer Seeblockade. Und unsere Kampagne AIM MATTERS ist nun viel komplizierter geworden. Warum? Seit 2068 bemannt AIM alle Kriegsschiffe und Küstenwachen von Dahomey. Im Gegenzug erhalten wir Zugang zu den modernsten Überwasserschiffen der Welt. Diese technologische Überlegenheit war in der Pazifikkrise unser Rückgrat. Diese Flottenkooperation kann AIM auf keinen Fall riskieren. Zudem haben wir mit AIM MATTERS eine Grundsatzentscheidung vorliegen, wonach wir den Markt in Dahomey erobern sollen. Wir wollen da rein und die anderen Sicherheitsdienstleister endlich zur Seite fegen. Vor allem den großen Konkurrenten Mercenary Inc. Das Problem ist nun, dass Dahomeys politische Lage unsere ethischen Unternehmenswerte und Grundsätze extrem strapaziert. Die Geschäftsleitung glaubt, dass wir in eine Zwickmühle geraten sind. Wenn wir Dahomey weiterhin loyal bleiben, riskieren wir unsere Reputation weltweit einzubüßen. Gehen wir in eine kritische Haltung zu Dahomey, droht uns noch mehr Einflussverlust. Wir wollen relevante und absolut loyale Partner sein, aber auch eine wertebezogene Geschäftspolitik verfolgen. Das zusammen sichert uns unseren Marktanteil, zusammen mit der militärischen Schlagkraft und dem technischen Know How.

Nun wurde CEO Walters ziemlich … ich will sagen … bloßgestellt. Die Geschäftsleitung stand wie ein minderer Diener da, der keine Ahnung davon hat, was sein Kunde auf dem Festland eigentlich treibt. Das geht ganz und gar nicht. Daher haben wir gemeinsam mit der Geschäftsleitung entschlossen, ein weiteres, strategisches Ziel in unsere Kampagne mit aufzunehmen. Es lautet: „Aufklärung der tatsächlichen Lage und Hintergründe um die Matrixzensur und den Verdachtsmomenten eines Völkerrechtsbruchs in der Tawani-Region.“. Die Geschäftsleitung braucht so schnell wie möglich eine Entscheidungsgrundlage um abschätzen zu können, ob und wann man zu Dahomey auf Distanz gehen muss. Am besten wären natürlich dokumentierte Beweise. In Lome hält man uns einfach hin. Der Außenminister hat unsere CEO scheinbar mächtig düpiert und abblitzen lassen. Wir brauchen also eine fundierte Beurteilung von Ihnen vor Ort. Was läuft da ab, was versteckt Dahomey und wer hat da die Finger am Abzug? Warum provoziert man die CCMA so dreist und wer oder was erzwingt diese extrem kostspielige Aufrechterhaltung der Zensur?

Wir können es uns nicht erlauben, für einen Schurkenstaat eine Seeblockade zu brechen. Das wäre der worst case. Ein massiver Schaden droht schon ganz unmittelbar, auch ohne faktische Seeblockade, weil AIM nun Farbe bekennen muss. Es ist absolut notwendig, dass unsere Kampagne zeitnah einen Ausweg präsentiert! Antworten und eine unmittelbare, verlässliche Lageeinschätzung müssen her. Sonst kann die Firmenleitung nicht entscheiden, ob es eine Entry- oder Exitstrategie verfolgen will.

Praktisch heist das für uns, Miss Clark wurde als Leiterin der Kampagne von der Geschäftsleitung bestätigt. Damit fängt sie den Druck einigermaßen von uns ab. Sie hat einen kleinen Zusammenbruch nach dem Meeting erlitten, wird aber bald wieder arbeitsfähig sein. Wir dürfen ihr keinen Grund liefern, uns Fehler anzulasten oder angreifbar zu machen. Ich sage das ganz offen. Sie gibt die Leitlinien vor, wir führen aus. Immerhin hat sie wohl eingesehen, dass alles von Ihnen, dem SFG 77 vor Ort, abhängt. Sie wird sich also mit uns arrangieren müssen. Und wir mit ihr.

Es wurde die Frage diskutiert, ob AIM nun massiv Geld und Ressourcen investieren sollte. Ich habe diese Frage eingebracht. Die Antwort war zweigeteilt. Einerseits ist man zurückhaltend AIM MATTERS zum gegenwärtigen Zeitpunkt massiv auszuweiten. Das Bekanntwerden eines intensiven Engagements in einer möglichen Konfliktzone, zumal noch ohne offiziellem Auftrag, wäre ein Desaster! Insofern wünscht man sich schnelle Antworten mit dem was wir gerade vor Ort haben. Andererseits ist absehbar, dass man AIM MATTERS stark ausweiten wird, wenn wir diese wichtigen Antworten und ein robustes Standbein haben. Man will also erst klare Entscheidungsgrundlagen für eine Entry-Strategie. Sie sind und bleiben die Speerspitze!

Mit den Wahlen im Bezirk Tembe haben sie sich eine gute Folgeoperation vorgenommen. Die führt uns ja direkt dort hin, wo derzeit das ganze Problem zu kochen scheint. Die Wahlen finden in dem Gebiet statt, das kürzlich noch von Gewalt gezeichnet war; es gehört zur Grauen Zone und zudem galt bis vor wenigen Tagen eine Ausgangssperre. Obendrein hat Nigeria dort bereits militärische Präsenz gezeigt. Wenn es also Antworten auf unsere drängenden Fragen gibt, dann doch wohl dort!

Seien sie vorsichtig und kommen Sie mit den besten Ergebnissen zurück, die man sich wünschen kann! Ich zähle auf Sie und Sie haben meine volle Unterstützung.

Der Captain scheint gespannt und fast euphorisch. Hier stand wohl einiges auf dem Spiel. Fragte sich nur, für wen genau.

Clark Clash

Am frühen Morgen des 7. Oktober, gut zwölf Stunden nach dem Ende der Operation Genozid, kam es zu einer ersten Auswertung der Berichte der SFG 77 . Das Treffen fand im hell erleuchteten „AIM Operations Host Virtual Strategic Conference Room“ statt, kurz AOHVSCR. Mike Goodfellow, der den Betrieb dieses virtuellen Besprechungsraumes im wesentlichen zu garantieren hatte, nannte den Ort einfach „Cantina“. Man konnte nämlich als Icon, Trideobild oder leuchtende Audio-Verbindung einfach abhängen und wenn kein Offizier anwesend war, lief für gewöhnlich gute Musik oder sogar ein Blockbuster. Bei dieser Nachbesprechung lief also keine Musik. Und es wäre auch unangebracht gewesen.

Die geamte SFG 77 samt Stab war anwesend gewesen. Das Einsatzteam hatte berichtet. Insbesondere Lieutenant Régicide hatte die Ergebnisse vorgetragen. Jeder gab seinen Teil bei. Captain Uzun hörte sich alles aufmerksam an und gemeinsam betrachtete man einige Aufnahmen: der Panzer im dunklen Wasser, Leuchtspurgeschosse in der Nacht, die Befragung des Gefangenen Johann, wohlhabende Igbo in einem Café am Ostufer des Tawani-Sees, der Elefantenkadaver im Baum. Zunehmend rutsche Deputy Secretary Pria Lakshmi Clark, die Projektleiterin des Policy Boards, in ihrem virtuellen Sessel nervös herum. Sogar an ihrem Icon konnte man erkennen, dass sich mit jeder Minute des Berichts eine Anspannung aufbaute. Das wurde so penetrant, dass Captain Uzun irgendwann Miss Clark direkt fragte, ob sie mit etwas nicht einverstanden sei oder ob es einen anderen Grund gebe, warum sie jedem an der Besprechung den Eindruck vermittelte, am liebsten sofort auszuloggen. Ab diesem Zeitpunkt entgleiste die Besprechung. Clark und Uzun lieferten sich ein Wortgefecht, in dem der Captain das Team hauptsächlich in Schutz nahm und versuchte herauszufinden, warum die Deputy Secretary so aufgebracht und unbeherrscht war. Die anderen waren lediglich Zuschauer bei diesem Wortgefecht der zwei B3er Sicherheitsfreigaben. Man musste sich selbst einen Reim darauf machen.

Clark: „… Weil sie, Captain, einen Hermetiker als Teamleiter eingesetzt haben! Das ist der Grund!“

Uzun: „So meine ich das nicht, Miss Clark. Ich meine, warum sie sich an den arkanen Ausführungen stören!“

Clark: „Weil der Fokus falsch liegt, das ist doch völlig klar. Soll ich mal die Zeit ausmessen, die wir hier über die arkanen Seltsamheiten gesprochen haben? Es ist sicherlich – verstehen sie mich nicht falsch – gut und korrekt wenn man in Dahomey das arkane Treiben fest im Blick hat. Aber mein Eindruck ist hier, erstens, dass sich der Lieutenant viel zu sehr an diesen Stilblüten des Erwachten Afrika festgebissen hat. Ja, da gibt es halt denkende Pflanzen, Feenwesen und Totems. Natürlich, das ist Afrika. Aber ich sehe die Sache so, zweitens nämlich, dass hier eigentlich die Augen und Ohren genau da nicht waren, wo es interessant gewesen wäre. Und jetzt höre ich mir hier Sachen an, die solche Versäumnisse hinter bunten Geschichten verstecken sollen! Mit dem magischen Firlefanz ist mir einfach der falsche Fokus gesetzt worden.“

Uzun: „Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, wirklich, Miss Clark. Sie müssen auch bedenken, dass eine Abwesenheit arkaner Kompetenz uns ganz massiv Erkenntnisse vorenthalten hätte.“

Clark: „Ja was denn bitte?! Dass sich Dahomey mit der Erwachten Welt arrangiert hat ist bekannt. Und es ist auch bekannt, dass Politik, Wirtschaft und Sicherheitswesen in den Händen säkularer, profaner Männer und Frauen liegen, nicht bei der ländlichen Priesterschaft oder bei Geistern. Es gibt auch keinen Drachen in Dahomey. – Der Lieutenant hat doch die zentralen Fragen gar nicht konsequent verfolgen lassen, wahrscheinlich nicht einmal erkannt: Die Hinweise auf kriminelle Akteure, diese Leute im Straßencafé, der Gefangene Johann, zum Beispiel. Und dann der Hinweis auf Wahlmanipulation. Das hätten wir wissen sollen, Captain! Da liegt der Fokus und hier sehe ich Versäumnisse. Ich habe schon ganz am Anfang gesagt, dass man nicht den Fehler machen soll, sich von der bunten Vielfalt täuschen zu lassen. Genau wie in Sierra Leone oder Liberia sind es kriminelle Strukturen und politische Interessengruppen, die Ökonomie und Staatsverträge und damit unseren Absatzmarkt dominieren. Der Staudamm ist ein Problem der Wirtschaftserpressung und Elefanten spielen da keine Rolle!“

Die Seputy Secretary rauft sich die Haare.

Uzun: „Sie müssen etwas Geduld haben. Wir erschließen uns einen Zugang, das bedeutet nicht, dass wir alles unreflektiert als wichtig und wahr einstufen. Die Missionsparameter waren schwierig. Das war eine Krisenreaktion mit sportlicher Reaktionszeit. Ich finde ihre kritischen Korrekturen auf die Auswertung des Lieutenant gut und wichtig, aber das ist kein Grund hier und jetzt meine Leute so scharf anzugehen. Sergeant Breslin hat gute, sachliche – und nebenbei ganz profane – Berichte geliefert, ebenso die Einschätzung der militärischen und Sicherheitslage durch Sergeant Svenson und Boucard.“

Dem Captain gelingt es die Deputy Secretary etwas auf den Boden zurück zu holen. Sergeant Somborne, der als Videobild präsent ist, wirkt eingeschüchtert und schweigt. Er scheint die Clark besser zu kennen, als sich einzumischen.

Clark: „Sicher, sicher. Entschuldigen sie. Mir geht es nicht darum jemanden hier anzugreifen oder eine Schuld zuzuweisen. Ich möchte es aber noch einmal deutlich sagen: Der arkane Fokus ist meines Erachtens ein schwieriges Feld, das uns nicht weiterbringt. Außerdem scheint mir hier ein ganz unangemessenes Bild von Dahomey konstruiert zu werden, das gefährlich wird, wenn wir es in Zukunft nicht korrigieren. Dieses ganze Gerede über Konfliktlinien entlang Hausa, Igbo und Bariba ist ausgemachter Blödsinn. Das ist bestenfalls eine mediale Strategie und auch dann nicht wirklich tragfähig. Schlimmstenfalls sind es Lügen die uns in die falsche Richtung zerstreuen. Dahomey ist, und das wurde in hunderten Studien belegt, als eines der wenigen Ländern aus dem Teufelskreis dieser ethnischen Zuschreibungen ausgebrochen – schon vor Jahrzehnten. Der Einheitsgedanke des Landes baut auf kommerziellem, ökonomischem, kulturellem und wissenschaftlichem Erfolg. Die interviewten Menschen in den Videos haben gar keine Ahnung, was der Unterschied zwischen Hausa oder Igbo mal irgendwann war. Das ist bestenfalls eine Frage der Mode. Deswegen ist Ihuma auch nicht ‚in Hausa-Hand‘ gewesen, weil der Modus Operandi der Dahomey-Verwaltung ganz anders gestrickt ist. Ihren Leuten wurden da Geschichten aufgetischt. Das merke ich schon bei der Sprachfrage. Die Priesterin bei den Elefanten zum Beispiel. Haben sie den Goldschmuck gesehen? Die Frau war steinreich. Auch das Äußere, die Kleidung. Denken Sie wirklich, die stottert sich so mit Französisch ab? Französisch ist primäre Verwaltungssprache. Die Alphabetisierungsrate liegt bei 99.8%! Die Leute ‚wollten‘ nicht mit ihnen reden. Es gibt gar keine Erziehungspolitik für lokale Dialektsprachen mehr! Die haben das Team wie Touristen abblitzen lassen, wenn sie mich fragen.“

Uzun scheint etwas ratlos und überrumpelt von dieser Sichtweise.

Uzun: „Em, nun, sehen sie, das ist genau das, was wir brauchen. Also ich unterstreiche nochmal: das ist wichtig, dass wir Aufklärungsdaten prinzipiell in Frage stellen. Das ist Routine bei der Auswertung. Und wir haben mit Breslin einen investigativen Analysten explizit vor Ort sowie mit Specialist Lance und dem CCOM auch Leute im Stab, die hier Überprüfungen der Daten vornehmen.“

Clark: „Ja, sicher. Mir geht es nur darum, dass sie hier nicht blind in die erstbeste Geschichte reinstolpern, die sie fasziniert. Ihre Leute waren zwei Tage im Busch und ich lese hier so manchen Groschenroman aus den Daten und wie sie vorgtragen wurden. Fokussieren sie auf die Dinge, die unsere Zielvariablen wirklich betreffen! Wir sprechen uns dann am besten nochmal zur Neubewertung wenn sie die Ergebnisse neu geordnet haben. So kann ich das erstmal nicht akzeptieren.“

Die Deputy Secretary beendet die Verbindung und lässt das militärische Personal allein im virtuellen Raum zurück. Das Icon in Form des Captain Uzun atmet tief durch und blickt aus den Virtual Host in die digitale Szenerie von Moskuwa.

Uzun: „Nun, also, Lieutenant, Sergeants. Machen sie erstmal weiter und überlassen sie die Abstimmung zum Policy Board mir. Fokussieren sie die Auswertung auf die militärischen, sicherheitsrelevanten und politischen Belange, aber bleiben sie mal offen in der Perspektive. Ich kann diesen, em, Ausbruch der Secretary, sage ich mal, nicht richtig einschätzen. Ich bewerte die Sache jedenfalls als Erfolg und die Ergebnisse als zielführend. Aber wir müssen wachsam sein, dass wir in der Unübersichtlichkeit der Lage nicht ertrinken. Da hat Miss Clark schon recht.“

Nach dem Miss Clark den Chat verlassen hat, schaut alles angespannt Richtung Régicide, welcher während der gesamten Tirade nichts gesagt hat. Ob es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, das man Pria Clarks Hirn verteilt an ihrer Bürowand vorfindet, ein 0.5 inch großes Loch in ihrer Scheibe. Negative und Norge sind nicht beunruhigt. Sie kennen Bazut mittlerweile gut, genug um seine Stimmung einzuschätzen. Er wirkt eher amüsiert, auch wenn das recht überraschend ist. Überrascht sind dann auch alle anderen, als der neue Lt. lächelt und sich an Uzun wendet:
„Cpt. mit ihrer Erlaubnis werde ich die Unsachlichkeit von Mademoiselle Clark einfach ignorieren und mich auf die Fakten beschränken?…Danke!
Die konstruktive Kritik ist nicht von der Hand zu weisen, leider lässt sich das nun nicht mehr ändern, schlimmer noch, es ist in der Retrospektive nur wenig Adaption möglich, außer das man gleich völlig anders an die Sache heran hätte gehen können.
Ich denke das wir mit mehr Intel und Background auch effektiver mit der Situation umgehen lernen.

Dann wendet er sich zum Team:
„Die Bedingungen waren katastrophal, wir sind alle unverletzt und haben viele wichtige Informationen erhalten. Wenn es sonst niemand sagt, ich sage:
Ddas war ein verdammt gutes Stück arbeit, très bon!
Rompez!
Cpt, noch auf ein Wort?

Wenn alle anderen sich ausgeloggt haben, wendet sich Régicide wieder an Uzun:
„Diese Misson war von Anfang an ein Schuss ins Dunkle…und hier kommen wir zur ersten wichtigen Frage. Mademoiselle Clark scheint „Ganz oder gar nicht“ zu bevorzugen. Ist das auch ihrer Meinung? Mit Verlaub, Mademoiselle Clark ist mir nicht weisungsbefugt, nicht die Leiterin dieses Team, Operation oder irgend etwas anderem, sie ist der Intel-Hiwi. Deshalb möchte ich für die nächste Mission eine klare Vorgabe, was ich tun soll oder sich die Firma wünscht. Dem entsprechend werde ich meine nächsten Einsätze planen, aber einen Schuss in die Dunkelheit kommt im Moment für mich nicht mehr in Frage. Ohne Intel, Ausrüstung und Trainingszeit gehe ich mit meinen Team in Zukunft nicht mal mehr Kaffee holen!
Oder wir kriegen weiterhin freie Hand, dann brauche ich so etwas wie eben aber nicht mehr!
Als zweites könnte sie Mademoiselle Clark bitte mitteilen das…aber eigentlich kann ich das auch selber tun, dass ich mehr Hintergrundinformationen zu Land und Leuten brauche. Ich warte auch immer noch auf Sprachchips der lokalen Gruppen…
Letztlich“
An dieser Stelle wird er ernst:
„Teilen sie Mademoiselle Clark mit, das sie nie wieder, ich wiederhole: nie wieder, beleidigende Aussagen über mein Team vor meinem Team tätigen wird! Mir kann sie sagen, was sie will, das ist mein Job. Das Team muss sich so was nicht anhören, das ist ebenfalls mein Job. NIE WIEDER!“
Er entspannt sich:
„Besten Dank für ihrer Unterstützung Cpt., ich warte auf ihr Statusupdate“
Salutiert…und wartet…

Der Captain salutiert:
„Damit wäre das hier dann vorrüber. Wenn wir eine Neubewertung der Lage durch den Stab fertig haben, melden wir uns. Rechnen sie damit, dass das um 1800 am heutigen Tag der Fall sein wird. Dann können sie für sich die nächsten Schritte planen und entscheiden, wo sich für sie vor Ort die besten Fenster öffnen. Das Team soll sich heute im HQ bereit halten für Nachfragen. Uzun Ende und Aus. – AIM true und einen guten Start weiterhin dort in Moskuwa.“

Regruppierung SFG 77

Es zeichnete sich am Horizont ab, dass die SFG 77 nicht tot sein würde. Es war zu still geworden, verdächtig still. Personal wurde bewegt, aber ohne klare Linie, ohne Konzept. So, als wollte man Spuren verwischen und bloß kein Aufsehen erregen. Die Shigeruu, nicht ohne Grund in der jüngsten Vergangenheit in den Blick einiger neugieriger Augen gerückt, wurde nach und nach aufgegeben. Das Personal der SFG 77 bröckelte langsam weg. Zumindestens sah es so aus. Doch die Sache schien Methode gehabt zu haben. Captain Katsuo Uzun erreicht die Teammitglieder an verschiedenen Orten über eine gesicherte Trideo-Verbindung zu einer Konferenzschaltung am 01. Oktober 2073.

„Meine Damen, meine Herren, es tut gut, sie alle wohlauf zu sehen. Sie haben wahrscheinlich gemerkt, dass man sie nicht vergessen hat.“

Der Captain sitzt an einem Arbeitstisch in einem unbekanntem Lageraum. Ein Soldat steht rechts von ihm bis zur Brust im Bild. Wahrscheinlich Kara Lance. Sie legt ein Tablet vor ihm ab und verschwindet wieder aus dem Bild.

„Eigentlich war eine Regruppierung erst für den fünfzehnten geplant, aber nun haben sich die Dinge doch dramatisch beschleunigt. Sie wurden soeben mit ihren Zugangskennungen für den neuen Operations Host freigegeben. Alles was ich brauche, ist eine Bestätigung ihrerseits, dass sie mit an Bord sind. Tja, und worum geht es? ich weiß gar nicht, wo ich am besten Anfangen soll.“

Er rückt die Brille zurück und studiert das Tablet kurz.

„Das Central Command hat die SFG 77 beauftragt in einem neuen Gewand eine strategische Kampagne von AIM in Westafrika zu unterstützen. Es geht darum eine Firmenstrategie des Policy Boards umzusetzen. Wir nennen die Kampagne derzeit ‚AIM matters‘. Es geht kurz gesagt darum, in dem westafrikanischen Land Dahomey endlich Fuß zu fassen und vor Ort eine AIM-Präsenz aufzubauen. Da gibt es faktisch bisher gar nichts von uns – zumindest an Land. Das ist eigentlich eine Kampagne der Regional Division Group 4, Afrika, aus dem Policy Board und der Kundengewinnung im Services Department. Diese Kampagne hat in diesem Sommer aber eine höhere Prioritätsstufe bekommen. Das CCOM hat zugewilligt, eine Special Forces Group verdeckt in Dahomey einzusetzen, um die Tür dort mit etwas mehr Nachdruck aufzumachen, da höfliches anklopfen wohl nicht wirklich half. Die SFG arbeitet also eng mit dem Policy Board in dieser Sache zusammen. – Das strategische Ziel besteht darin, für AIM den Markt zu eröffnen und in Zukunft eine Rolle im Sicherheitswesen von Dahomey zu spielen – ‚AIM matters‘, eben. Etwas konkreter geht es um einen Staudamm in ‚Geiselhaft‘, mit dem Dahomey unseres Wissens nach zurzeit erpresst wird. Die Sache ist aber nicht so einfach wie es sich anhört. Wir brauchen dort unten strategische Partner um das anzugehen; das ist alles ziemlich komplex. An dieser Stelle ist es nicht angemessen, dass ich zu sehr ins Detail gehe. Wir sollen das jedenfalls auf taktischer und strategischer Ebene operativ umsetzen. Und sie, meine Herren, spielen hoffentlich eine Schlüsselrolle dabei!“

Uzun schmunzelt kurz, wird dann aber ernster.

„Seit einigen Wochen gibt es Probleme in Dahomey, das eigentlich als ein sehr stabiles afrikanisches Land gilt. Es kommt zu Gewalt im Norden. Und jetzt, vor zwei Tagen, auch in der Hauptstadt. Dort ist zurzeit Philippe Boucard auch vor Ort. Ich hatte ihn vor einiger Zeit gebeten dort ein wenig die Lage zu beobachten. Ich zeige ihnen die aktuelle Meldung, sie geht natürlich außerhalb von Arfrika eher unter, aber Channel 9 hat etwas darüber gebracht:“


Am 29. September kam es in der westafrikanischen Hafenstadt Lome ebenfalls zu Ausschreitungen im Zuge durchgeführter Regionalwahlen. Für sechs Stunden wurden öffentliche Plätze und Gebäude sowie der Nahverkehr durch scheinbar organisierte und unangemeldete Proteste zum erliegen gebracht. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und der Bevölkerung. Nach den sechs Stunden voller Chaos löste sich alles wie auf Kommando auf und Normalität kehrte wieder ein. Viele Fragezeichen bleiben jedoch zurück.

Mit Lome ist es nun auch die größte Stadt im Zukunftsstaat Dahomey, die von Erschütterungen heimgesucht wird. Erst vorgestern wurde bekannt, dass eine massive Matrixzensur Gewalteskalationen im nördlichen Grenzgebiet zwischen Dahomey und Nigeria vor dem Auge der Öffentlichkeit verborgen hält. Nun überschlagen sich Gerüchte und bruchstückhafte Berichterstattung über zügellose Bandenkriminalität und organisiertes Vorgehen von Milizgruppen zu beiden Seiten des Grenzgebietes. Die Zentralregierung in Dahomey räumt ein, dass es in einigen der nördlichen Bundesstaaten Ausgangssperren gab und eine nigerianische Aggression stattgefunden hat. Nigeria verneint dies jedoch konsequent und spricht davon, dass sich die Bevölkerung im befriedeten Grenzgürtel gegen gezielte Angriffe auf lokale Minderheiten zur Wehr gesetzt hätte. Das nigerianische Militär habe daraufhin aus humanitäten Gründen eingegriffen, um diesem gezielten „Staatsterrorismus“ aus Dahomey entgegenzuwirken und die Bevölkerung zu schützen. – Es ist an dieser Stelle kaum möglich, verlässliche Informationen zu erhalten. Die Weltöffentlichkeit fordert nun mit Nachdruck Transparenz und eine Aufhebung jedweder tatsächlich vorgenommenen Matrixzensur. Eine solche Nachrichtenzensur wäre ein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht und könnte weitreichende Folgen haben. – Channel 9, Lome.

Katsuo Uzun rückt sich wieder ins Bild.

„Philippe Boucard hat uns dankenswerter Weise aus Lome direkt mit Informationen versorgt. Er befindet sich derzeit in einem sicheren Hotel und ist uns ja auch zugeschaltet. Besten Dank, Mr. Boucard, für ihre ersten ‚Stiefel am Boden‘. – Nun, das Einsatzgebiet ist jedoch nicht in Lome, sondern in der Nordregion, die in den Nachrichten erwähnt wird. Die Area of Interest erstreckt sich über eine ausgedehnte Region im diffusen Grenzgebiet.

Die SFG 77 wird für diese längerfristige Kampagne auf neue, selbstständigere Füße gestellt werden. Sie erhalten, wenn sie einwilligen, Festanstellungen und einen Rang gemäß der üblichen Struktur in unseren Special Forces Groups. Damit verbunden ist ein regelmäßiges Grundgehalt, Finanzverantwortung und eine Sicherheitsfreigabe. Sonderzahlungen als Zulage zum Grundgehalt sind abhängig von Fortschritten, wie sie das aus bisherigen Missionen kennen. Ihre Arbeitsweise vor Ort können sie weitestgegehend selbst bestimmen. Sie bekommen hierfür eine Kostenstelle und ein Budget. Wie sie es von mir gewohnt sind, arbeite ich flexibel und mit hohem Vertrauen in ihre Kompetenzen. Die Auswahl der Missionsprioritäten und der Einsatzregeln wird dafür maßgeblich auf sie vor Ort übergehen. Zumindest in der Anfangsphase werden sie verdeckt vor Ort sein. Die genaueren Umstände über ihre erste Operationsbasis und die aktuelle Lage erhalten sie bald gesondert. Vorerst möchte ich ihnen erläutern, wie das Team zusammengestellt ist.“

Key Role Person Clearance Fond
77A Detachment Commander CPT Katsuo Uzun B3 CCOM
77R Radio Sergeant SPC Kara Lance B1 CCOM
77L Logistics Sergeant 1SG Jean-Yves Somborne B1 SERV
77E Communications Sergeant CW2 Mike Goodfellow B1 SERV
770A Assistant Detachment Commander 1LT Bazut Morellè B2 SFG 77
77Z Operations Sergeant SSG Philippe Boucard B2 SFG 77
77B Weapons Sergeant SFC Harald Svenson B2 SFG 77
77F Intelligence Sergeant SGT Compton Breslin B2 SFG 77
77LA Assistant Logistics Sergeant WO1 Lena Mason C2 SFG 77
77O Vehicle Operator / Rigger CW3 Collette Hiller C2 SFG 77
77P Administration PFC Christoph Fink C2 SFG 77

„Die Stabsstellen sind nicht vor Ort in Dahomey. Damit meine ich Sergeant Somborne, Specialist Lance und mich – sowie auch Miss Clark, die Kampagnenleiterin aus dem Policy Board. Vor Ort hat Lieutenant Morellè das Kommando. Ob und wann die SFG 77 als geschlossener Kampfverband geführt wird und die militärischen Strukturen den zivilen Tagesablauf ablösen, obliegt seiner Entscheidung.
Gemäß ihren typischen Fähigkeiten wurden ihnen die Rollen für SFG-Sergeants zugeteilt. Sie können diese Rollen aber frei auslegen und sind nicht dadurch gebunden. Da sie alle eine B2-Sichereheitsfreigabe erhalten, können sie Personal mit Freigaben bis zu C2 vor Ort selbst einweisen – oder auch aus dem Dienst nehmen.

Wir haben aufgrund ihrer vergangenen positiven Evaluationen Lena Mason und Christoph Fink aus dem Bereitschaftspool für eine dauerhafte Anstellung gewinnen können. Miss Mason hat bereits das Safe House in der Stadt Moskuwa als Operationsbasis vorbereitet. Christoph Fink übernimmt die Finanzabwicklung und Administration. Chief Hiller wird ihr Fahrzeug-Operator, da Zoé Miller voraussichtlich nicht verfügbar sein wird. Ich hoffe diese Wahl ist für sie akzeptabel. Chief Goodfellow ist derzeit noch als Stabsstelle der SFG 77 im Hauptquartier in Finistère, aber er kümmert sich bereits um die Sicherheit unseres Operations Host von dort aus. Es ist durchaus denkbar, dass er später in die Area of Interest nach Dahomey verlegt wird. Der Vorteil ist, dass Personal, das nicht direkt in Dahomey im Einsatz ist, ihre Kostenstelle nicht belastet. Die Finanzaufstellung und das Budget wird ihnen mitgeteilt, wenn sie einwilligen.

Und dann sehen sie natürlich, dass wir das SFG 77 im Kern verstärkt haben. Sergeant Breslin wird ihnen als neuer Kamerad zugeteilt. Er hat mehrere Jahre Erfahrung bei AIM in Kairo sammeln dürfen und ist ein Ermittler mit Kampferfahrung. Er wird sie vor allem im Bereich der Lageermittlung und nachrichtendienstlichen Angelegenheiten unterstützen. Machen sie sich alsbald bekannt! Wir denken, dass sie sich gut ergänzen werden.“

Der Captain beendet die ausführliche Einführung und schließt ab:

„Als nächstes brauche ich natürlich ersteinmal ihre Zustimmung, um sie für alles weitere an Bord zu holen. Dann heisst es so schnell wie möglich in das Safe House nach Moskuwa einrücken. Lena Mason hat hierzu die Details für sie. Dann werden auf dem Operations Host die vertraulichen Details zur Area of Interest bereit gestellt und sie können sich einen Überblick über die Lage und aktuellen Missionsoptionen machen. Deputy Secretary Clark wird sie beizeiten in die Kampagne „AIM matters“ etwas genauer einweihen. Ein Dossier zur Region können sie bereits einsehen. Logistik und Finanzen erledigen sich nebenher. Specialist Lance und ich sind nach wie vor ihre Ansprechpartner hier im Stab des CCOM. Prinzipiell können sie aber alle Beteiligten über den Internen Chat des Operations Host ansprechen. Das ist soweit alles, was ich ihnen zur speziellen Natur dieser Einsatzverwendung zu sagen habe.“

Mit dem knappen Schluss überlässt er das Wort den anderen im Trideo-Chat und lehnt sich zurück. Die Miene ernst und nachdenklich. Er blickt erneut auf das Tablet und gibt es an Lance mit einem überraschten Kopfschütteln zurück. Scheinbar entwickeln sich die Dinge in Dahomey bereits weiter, während man spricht.

Kantinengespräch

AIMS Juno, Freie Kantine

Die Freie Kantine auf der AIMS Juno, der einzige Ort des Schiffes, an dem sich zu Friedenszeiten die Besatzung frei von Rang und Position begegnen kann, um gemeinsam dem schweren, und oft auch eintönigen, Dienst zu entfliehen. Trideos, runde Gruppentische, eine ordentliche Bar, das alles wurde traditionell von der Crew der Maschinenbediener mit einer geopferten Freischicht betrieben und am Laufen gehalten. Schummrig genug, um den grellen Neonlichtern der Arbeitsbereiche zu entfliehen. Hell genug, um nicht den Eindruck von Gefechtsbeleuchtung zu erwecken. Und vor allem: bunt.

Captain Uzun ließ, wie üblich, seine weiße Dienstmütze am Eingang zur Freien Kantine zrück, als er drei Tage nach Operation Ancient Mariner endlich eine kleine Auszeit nehmen konnte. Männer und Frauen unter seinem Kommando hatten allerdings noch hektischere Tage und Wochen hinter sich als ihr Captain.

Die Besatzung der Juno schielte dem jungen Captain über ihren Bier- und Cockailgläsern hinterher. Auf seiner Navy-Uniform prangte das goldene Abzeichen des Special Operations Command. Es war nicht verborgen geblieben, dass eine verdeckte Operation stattgefunden hatte. Captain Uzun nickte einigen bekannten Gesichtern mit einem müden Lächeln zu und setzte sich mit seinem gesalzenen Gin an einen leeren Tisch.

Zoé war auch in der Kantine. Natürlich überwiegend unbemerkt. Auch von Captain Uzun. Sie erwog für einen Moment, sich an den Tisch des Captains zu setzen. Irgendetwas sagte ihr, dass er Gesellschaft nicht abgeneigt war. Doch bevor sie sich entschließen konnte, kam ihr jemand zuvor. So konnte Zoé, mehr oder weniger freiwillig, das folgende Gespräch mithören, das sie später auch den Kameraden berichten würde.

CPT Katsuo Uzun

SPC Kara Lance

 „Captain, schön sie hier zu sehen.“

Uzun sah auf, rückte die Brille zurecht und lächelte matt: „Specialist Lance. Wie ich sehe, ohne Datentableau sondern mit einem russischen Starkbier.“

„Darf ich?“

„Sicher, bitte. Setzen sie sich frei.“

„Danke, Sir.“

Die heute gar nicht mehr so jung erscheinende Blondine setzte sich. Und das fiehl ihr gar nicht so leicht. Ihre Bewegungsfreiheit am rechten Oberschenkel oder der rechten Hüfte war sehr eingeschränkt. Fast wirkte es, als habe sie ein steifes Hüftgelenk. Beim gehen oder stehen blieb es jedoch unbemerkt. Ihr Umgang damit war routiniert. Es plagte sie wohl nicht erst seit vorgestern. Als sie saß, blickte sie sich ein wenig in der Lounge um, dann beäugte sie ihren Captain genauer. Der starrte auf einen Trideo mit Sportnachrichten aus dem Kaukasus, sichtlich gedankenverloren.

„Waren ein paar harte Tage, “ sprach Lance und warf vorsichtig einen Köder ins Wasser. Der Captain riss sich los vom Trideo und gab sich einen Ruck zur Konversation.

„Für manche mehr, für manche weniger. Sie haben wieder gute Arbeit geleistet, Specialist. Sie haben mir den Kopf vom Kleinkram freigehalten, bei dieser ganzen Hau-Ruck-Operation. Wie immer.“ Ein herzlicheres Lächeln von ihm folgte, wenn auch nur kurz.

„Danke Sir,“ Lance rutschte etwas legerer in den Sessel hinein und trank recht zwanglos am Starkbier. Scheinbar hatte sie deutlich weniger Probleme formlos zu sprechen als der Captain. Das machte ihm aber offenbar nichts aus.

„Da lässt sie was nicht los, hm? Oder sind sie schon bei Operation Follow-Up?“, falls Lance damit auflockern wollte, gelang es ihr nicht wirklich.

„Es ist diese Helena, Lance,“ ein tiefes Durchatmen von Uzun, „ich kriege sie nicht aus dem Kopf. Ich glaube, das war der größte Fehler, den ich jemals in meiner Dienstzeit gemacht habe.“

Lance starrte ihn einen Moment an. Dann begriff sie, dass das vielleicht ernster war, als sie zuerst gedacht hatte. „Die Freundin von der Zielperson?“

„Ja.“

„Sie war ein drastischer Risikoposten, vielleicht noch mehr als die gesamte P-Gruppe,“ gab Lance zu bedenken.

„Nicht nachdem wir die Zielperson einfach so zurückgelassen haben. Das macht den Vermisstenstatus der Frau so sinnlos. Nicht nur ein Verbrechen, sondern auch sinnlos.“

„Warum haben sie den Befehl dann gegeben?“

Captain Uzun schwenkte den Gin abwesend und horchte tief in sich hinein bevor er antwortete.

„Man kann einer Einsatzgruppe nicht alles aufbüren. Meine Einschätzung war, dass die Gefahrenabwehr und Sicherheit der Mission diesen Schritt nötig machen würde. Und ich denke, der Sergeant wäre auch zu dem Schluss gekommen. Schließlich verlange ich vom Team, dass sie Entscheidungen zu treffen bereit sind. … Deshalb wollte ich das auf meine Rechnung nehmen. Aber jetzt… Wenn ich die Uhr zurück drehen könnte, würde ich es tun.“

„Denken sie, es gibt ein Disziplinarverfahren?“

Captain Uzun schüttelte den Kopf und sprach weiter: „Die Sache ist zu groß, der Tod zu unbedeutend, die Umstände zu dunkel.“

Lance schnaubte kurz mit einem halben Grinsen: „Hrm, willkommen in einer Welt aus Scheiße.“

„Gott, ja. Ich komm schon damit klar, Lance. Kommt gerade nur,… hart rein.“

„Das Team hat den Befehl doch ohne zu zögern ausgeführt. Haben sie nicht selbst gesagt, mit Operative Z gibt es ein gutes Korrektiv im Team? Und mit Operative R eine professionelle Meinung mit Offizierserfahrung vor Ort?“

„In einer Führungsposition können sie den Ball nicht einfach so zurückspielen, Lance. Die Operative ist nicht mehr die, die sie bei Knock and Talk oder davor war. Wir verlangen Anpassung und Engagement, das weit über das übliche hinaus geht. Auch für militärisches Personal und erst recht für halb-ziviles. – Egal, es ändert nichts. Eine Fehlentscheidung, mit der ich klarkommen muss. Und je schwerer es mir fällt, desto leichter fällt es hoffenlich dem Team.“

„Ich glaube, die Sache ist es wert gewesen, Sir. Ich habe keinen Zweifel an ihrer Führungskraft.“

Captain Uzun nickte knapp.

„Wie geht es jetzt weiter, Captain?“

„Drei Einsatzkräfte begleiten mich nach Tokio. Operative R wird die Adjutanz von der Landevorbereitung in Kiruna wieder aufnehmen. Das ist sehr gut. Ich nehme an, das Central Command wird mich weiter als Liaison für den Kunden behalten wollen. Was immer passiert, es muss in das Pazifikszenario eingepasst werden. Wir können ja nicht alles auf einen Joker setzen, den wir gezogen haben. Die Japanische Allianz braucht Reaktionspläne für alle möglichen Ausgänge. Das muss mit CCOM und den Partnern entwickelt werden. Ich möchte, dass sie, Lance, sich soweit möglich den Schreibtisch frei halten für taktische Planung und nachrichtendienstliche Verwertung, sobald wir wissen wohin wir uns entwickeln wollen. Patrickson habe ich zugesagt, dass wir die zehnte AEF nicht außen vor lassen wenn es heiß wird. Sobald wir die Freigabe für einen Planungsstab für den Folgeeinsatz der SFG 77 haben, richten sie die Einsatzzentrale auf der Cassiopeia ein. In meiner Stellvertretung, wenn ich noch in Tokio gebunden sein sollte.“

„Danke Sir. Selbstverständlich. Was ist eigentlich mit Operative N?“

„Unklar. Diese Simsense-Technologie ist ein Teufelszeug. Wir können froh sein, dass wir Operative Z nicht in diesem nicht genehmigten ‚Brain Dive‘ verloren haben. Ich hoffe mal, Operative N landet schneller wieder auf den Füßen als sie. Auf seine Kompetenz können wir nur schwer verzichten. Das haben wir gerade eben wieder erlebt. Elektronische Kriegsführung und intime Kenntnisse von Sicherheitstechnik hätte noch weitere Optionen eröffnet.“

„Und der Corporal?“

Uzun seufzte und hob die Augenbrauen: „Sankta Dominga.“

„Die Fake-Inseln für Superreiche?“

Der Captain schwenkt das Glas zu einer leeren Geste: „Manche brauchen einen Psychiater, andere eine Mini-Bar. Wie er seinen Urlaub nimmt, geht mich nichts an, solange er die Einsatzbereitschaft erhält.“

Lance schüttelt mit einem fetten Grinsen den Kopf: „Sankta Dominga. Die geleckten Sternchen werden ja jubeln, wenn er sein Handtuch am Strand ausrollt.“

Der Captain brachte nur ein schwaches Nicken zustande.

Das Ende von Kimono

Am frühen Morgen des 22. Februar 2073 war die SFG 77 in einen leeren Lear-Cessna Platinum gestiegen und hatte den Weg ins Unbekannte angetreten. Captain Uzun hatte das Nachsehen, als sich die geschickt inszenierte Scharade der Miru erfüllte. Kappa YC war das Ziel gewesen. Dort entfaltete sich die geheime Bestimmung von Operation Kimono und endete in der Zusammenführung der drei Geschwister – Miru, Kiru, Asiru – zur neuen, alten Tochter Yutani.

Die Gegenleistung dafür, benutzt worden zu sein, bestand im Wesentlichen aus geschenkter Zeit und Selbstbestimmung darüber. Hatte Miru alles daran gesetzt, nichts dem Zufall zu überlassen und als „Hand Gottes“ die Weichen zu stellen, dann war man auf dem Suborbital nun plötzlich mit dem genauen Gegenteil konfrontiert. Alle Möglichkeiten schienen offen zu stehen. Man entschied sich für Beijing, um dort Atra Khalipour zu suchen – und letztlich zu finden. Zwar standen zuerst Bricks und Régicides Schicksale im Vordergrund, doch alsbald nahm Beijing auch die anderen in die Umarmung. Spätestens die Bergung der Gallerie des Feuers ließ erahnen, dass die Bande zwischen den Mitgliedern der SFG 77 mittlerweile über einen gemeinsamen Arbeitgeber hinaus gingen.

Um die von Miru inszenierte Scharade zur Deckung weiter zu nutzen, brachte das SFG 77 den altbekannten Frederic Denton als möglichen Verhandlungspartner für Operation Kimono ins Spiel. Daisuke Hiku, der Customer Agent der Yutani Corporation, verantwortlich für die Position seines Konzerns im Pazifikkonflikt, nahm die Anregung dankend auf. Inwieweit dies mit Billigung und Wissen von Miru (oder ihrer neuen Gestalt) geschah, blieb unklar.

In Kapstadt stellte sich letztlich heraus, dass Frederic Denton eine gute Wahl gewesen war. Allerdings waren die Umstände schwierig. Es brauchte gehörigen Druck, gute Angebote und vor allem eine Gruppe fähiger Unterhändler, die alle am gleichen Strang zogen. Insbesondere durch die loyale Unterstützung durch die SFG 77 wurde letzteres erreicht. Frederic Denton und seine Kinder konnten gerettet werden. Sein Geständnis zeigte, dass sich die Beharrlichkeit und die gute Erinnerung an die Hintergründe von Operation Whiplash gelohnt hatten. Die kantonesischen Angreifer hatten diesen komplexen Schachzug verloren. Operation Kimono konnte endlich enden.


In Tokio wartete ein lang ersehntes Wiedersehen, als die SFG 77 am 08. März 2073 – nach 15 Tagen ohne Lebenszeichen – wieder aus den Schatten auftauchte. Captain Uzun hatte bereits einen Graben in die Korridore der AIMS Cassiopeia getigert, wo sich die Operationsleitung für Operation Kimono befunden hatte. Und wieder ging die SFG 77 in die Geschichte von AIM ein: noch nie hatte eine Sondereinsatzgruppe eine Mission mit so wenig Stabsunterstützung absolviert. Im Customer Office der Yutani Corporation in Tokio kam es zu den Nachbesprechungen, die in enger Abstimmungen mit den Unterhändlern und Daisuke Hiku stattfinden sollten.

„Meine Herren, Miss Miller, sie können sich vorstellen, wie glücklich das CCOM und ich waren, als wir von einer erfolgreichen Beendigung von Operation Kimono gehört haben. Das waren wahrscheinlich die längsten zwei Wochen meiner Dienstzeit. Es fällt schwer, gute Leute sich selbst überlassen zu müssen. – Wie mir Daisuke Hiku eben berichtet hat, haben die drei Unterhändler dem Japanischen Consortium berichtet. Es ist noch nicht entschieden, wie viel von den Ergebnissen wir erfahren werden. Aber eines ist schonmal sicher: Frederic Denton war ein Volltreffer. Es gibt bereits Rahmenpläne für eine Folgemission, die der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen wird. Ich denke ich kann soviel sagen: die COC verfolgt einen großangelegten Drei-Stufen-Plan, über den Mister Denton wohl intime Informationen besitzt. Wenn er sie teilt, werden wir schnell handeln müssen. Die Initiative liegt nun bei uns.“

Daisuke Hiku, der ältere Japaner mit wachem Geist und gutmütigem Lächeln nickt und stimmt den Ausführungen von Captain Uzun zu. Die SFG 77 sieht den Customer Agent zum ersten Mal in Person. Er war also wirklich keine bloße Illusion der Miru.

„Die Yutani Corporation hat Klugheit und Weitsicht bewiesen, dem Hinweis nach Frederic Denton nachzugehen. Die Ergebnisse übertreffen die Hoffnungen.“ Daisuke Hiku lächelt der SFG 77 schelmisch zu. Auch wenn wohl bisher noch immer nicht bekannt gemacht wurde, wer Denton als Ziel ausgewählt hatte, so scheint es wenigstens Daisuke Hiku nicht vergessen zu haben. „Sie haben erheblichen Anteil daran. Tameo-san war sehr zufrieden mit der Loyalität und entschlossenen Handlungskraft ihrer Leute. Und sogar der übereifrige Kenjiro-san, der seiner inneren Jugend gemäß viel zu viel Ideale und Hoffnungen in die Sache legte, kann nun darauf hoffen, dass mit Frederic Denton ein Rechtsverfahren von Relevanz in greifbare Nähe rückt. Nicht zuletzt wird auch Susila Tambusai mit einem beachtlichen Erfolg zurück nach Jakarta kehren. Soweit ich infomiert bin, wird das ihre Oberen eher überraschen. Sie soll sich sehr gut eingebracht haben. In der Zeit zwischen der „Eskalation“ und der Befreiung der beiden Kinder gelang es ihr, Frederic Denton sicher auf unsere Seite zu manövrieren. Das wäre wahrscheinlich weder Tameo-san noch Kenjiro-san gelungen. – Wie wird es nun weiter gehen? Ich möchte etwas mehr enthüllen und ergänzen, dass die COC plante, Frederic Denton als Agenten weiter zu führen und in den Medienkrieg um den Pazifikkonflikt schadbringend einzusetzen. Diese Rolle sollte er wohl in diesem Drei-Stufen-Plan zu späterer Zeit wieder aufgreifen. In diesem Zusammenhang hätte er auch seine alten Kollegen der Xunxao Gongsi ins Verderben stürzen sollen. Doch nun sieht es anders aus. Er hat bereits angekündigt, die anderen drei verdächtigten Executive Officers zu entlasten. Claudine Montbruillard wird nach seiner Aufforderung aus dem Untergrund auftauchen und für Befragungen zur Verfügung stehen. Letztlich…“ Daisuke Hiku räuspert sich mit einem schalkhaften Lachen, das jedoch eine wölfische Note nicht vermissen lässt, „…haben sie wohl damit auch die Missionsziele von Operation Whiplash erfolgreich vervollständigt. Alle vier XO sind in den Schoß Japans zurückgekehrt. Katsuo-san darf sich glücklich schätzen, solche Samurai in seiner Armee zu wissen!“

„Zu freundlich, Daisuke-dono,“ der Captain rückt die Brille etwas irritiert zurecht und wendet sich wieder an das Team. „Sie haben es losgetreten. Jetzt müssen sie das Endspiel auch beherrschen, meine Herren. Sie haben fünf Tage Freistellung, dann möchte ich sie gerne auf der Shigeruu wissen, für  Vorbereitungen auf Operation Ancient Mariner. Alles muss schnell gehen, unser Zeitfenster ist klein. Aber es wird eine Operation aus dem Lehrbuch für Sondereinsatzkräfte. Wichtig ist, dass wir den Speer jetzt weiter in die Flanke des kranken Tieres treiben.“ Unklar, ob der Captain die bildhafte Sprache gewählt hate, um Daisuke zu beeindrucken, aber der nickt jedenfalls verzückt. „Specialist Goodfellow ist bereits mit der Trainingsvorbereitung instruiert. Er wird ihnen diesmal zur Unterstützung im rückwärtigen Raum zugeteilt. Weitere Dinge klären wir dann bei der Einsatzvorbereitung. Sie können wegtreten.“

Als sich Daisuke Hiku und der Captain anschicken abzugehen, wendet sich der Captain nocheinmal außerhalb des Protokolls leiser an Norge:

„Mister Svenson. Hören sie… Frederic Denton und seine beiden Kinder verdanken ihnen scheinbar das Leben. Ich weiß nicht, ob ihnen das klar ist. Der Einsatz war ja wohl ziemlich rauh und unter Zeitdruck. Bisher ist ja nicht klar, ob der Einsatz zur Gänze freigegeben wird. Ich habe also nur oberflächliche Eindrücke davon, was genau passiert ist. Mister Denton hat jedenfalls gegenüber dem CCOM gebeten, dass man Ihnen seinen aufrichtigen Dank ausrichtet.“

Für Zoé hat CPT Uzun dann das letzte Wort übrig:

„Sehr schöne Haarfarbe übrigens, Miss Miller. Schön, dass sie sich langsam mit der Rasurordnung des AIM-Personals arrangieren können. Das steht ihnen wirklich gut!“